Grobe Irreführung der Öffentlichkeit mit der Asylstatistik

  • Analyse
15. Februar 2024
Bedienungsanleitung zum Lesen der österreichischen Asylstatistik

Das Innenministerium bringt monatlich eine Asylstatistik heraus. Darin werden die positiven Asylentscheidungen durch einige Tricks kleingerechnet. Wir analysieren diese Rechentricks und stellen klar: 

Die positiven Asylentscheidungen in Österreich liegen mit 39% fast doppelt so hoch wie offiziell angegeben. Insgesamt ist die Schutzquote aber noch viel höher.

In 63 Prozent der Asylverfahren (korrekt: Anträge auf internationalen Schutz) wurde im Jahr 2023 eine "positive Entscheidung" getroffen. - Eine solche heißt, dass sie entweder den Asylstatus bekommen (dauerhafter Schutzstatus), oder subsidiären Schutz (Schutzstatus, nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, weil Gefahr für Leib und Leben besteht). Wer weder Asyl noch subsidiären Schutz bekommt, bekommt möglicherweise den Status "humanitäres Bleiberecht" zugesprochen. 

Nach Aussage von Innenminister Karner waren im letzten Jahr 4 von 5 Asylanträgen negativ. Darüber hinaus sei die Anerkennungsquote von 50 auf 23 Prozent gesunken.

Diese Aussagen sind in mehrfacher Hinsicht falsch. Das belegt die eigene Statistik, die das Innenministerium veröffentlicht.

Richtig berechnet liegt die Anzahl der positiven Asylentscheidungen 2023 bei 39 Prozent und lag im Vorjahr bei knapp 31 Prozent. Damals behauptete derselbe Innenminister allerdings, dass 2022 nur 16 Prozent Asyl erhalten hätten.

Wie kommt es zu diesem Fakten-Salat?

Analysieren wir diese Trickserei. Wie wird da gerechnet? Hier die Details:

In der Asylstatistik des Innenministeriums (BMI) von Jänner bis Dezember 2023 sind 16.787 positive und 26.314 negative Asylentscheidungen ausgewiesen. Nach Berechnung des BMI ergeben die positiven Asylentscheidungen 22,6 Prozent. Wie ist das möglich?

Zählt man die 16.787 und die 26.314 zusammen, ergibt das 43.101, also 100 Prozent der positiven und negativen Entscheidungen.

Die positiven Entscheidungen sind also 39 Prozent.

Welcher Trick ergibt 22,6 Prozent?

Um die Zahl geringer erscheinen zu lassen, rechnet das BMI zu den positiven und negativen Entscheidungen auch noch 31.053 „sonstige Entscheidungen“ hinzu.

Sonstige Entscheidungen sind in den meisten Fällen sogenannte Verfahrenseinstellungen. Asylverfahren werden meist dann eingestellt, wenn Antragsteller:innen in andere Länder weitergereist sind, und das Asylverfahren nicht weitergeführt werden konnte. Wir wissen nicht, ob sie eine positive oder negative Entscheidung bekommen hätten. Sie in der Statistik mitzuberücksichtigen ist daher unsinnig.

Das BMI rechnet also:    16.787 + 26.314 + 31.053 = 74.154

                                            74.154 = 100%

                                            16.787 =  22,6%

Nach dieser Berechnungsmethode sinkt daher der Anteil der positiven Asylentscheidungen, wenn viele Menschen in andere Länder weiterziehen und deshalb deren Verfahren eingestellt werden.

Würden von 100 Personen 98 weiterziehen und eine Person eine positive und die andere eine negative Entscheidung bekommen, fielen nach dieser Berechnung auf die Person mit der positiven Entscheidung nicht 50% der positiven Entscheidungen, sondern nur 1 %. Diese Berechnung ergibt keinen Sinn und macht die Statistik auch mit jenen aus anderen Ländern unvergleichbar.

Es gibt auch andere Arten positiver Entscheidungen

Ohne diesen Trick sind es also 39 Prozent Asylgewährungen. Der Umkehrschluss, wonach damit 61 Prozent negative Entscheidungen wären und sich die Menschen damit nicht legal in Österreich aufhalten, ist aber ebenso falsch.

Eine Asylentscheidung (korrekt: Eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz) besteht nämlich in Wahrheit aus drei Entscheidungen:

  1. Die Asylentscheidung
  2. Die Entscheidung über subsidiären Schutz
  3. Die Entscheidung über humanitären Aufenthalt

Wer eine positive Entscheidung über subsidiären Schutz bekommt, hat gleichzeitig eine negative Asylentscheidung. Wer eine positive Entscheidung über humanitäres Aufenthaltsrecht bekommt, hat gleichzeitig eine negative Asylentscheidung und eine negative Entscheidung zum subsidiären Schutz.

Im Jahr 2023 wurde 8.011-mal positiv auf subsidiären Schutz und 545-mal positiv auf Schutz aus sonstigen Gründen (humanitärer Aufenthalt) entschieden. Macht gemeinsam mit den positiven Asylentscheidungen 25.343 positive Schutzentscheidungen.

Die öffentliche Inszenierung der Asylstatistik folgt immer dem gleichen Drehbuch

  1. Das Innenministerium bringt monatlich die neue Asylstatistik heraus. 
  2. Die positiven Asylentscheidungen werde mit Hilfe der oben beschriebenen kleingerechnet.
  3. Die meisten Medien übernehmen diese Zahlen.
  4. In der Folge treten rechtspopulistische Politiker:innen in den Medien auf und kommen unwidersprochen mit der Falschmeldung durch, dass über 80 Prozent derer, die in Österreich um Schutz ansuchen, das Asylrecht missbrauchen würden und abgeschoben werden sollten.
Mit dieser Art der Darstellung der Asylstatistik wird die Öffentlichkeit in die Irre geführt.

Das zeigt:  Die rechtspopulistischen Politiker:innen wollen bei der Wähler:innenschaft nicht durch die Einhaltung des Völkerrechts oder durch im Ergebnis richtige Asylentscheidungen punkten. Nein. - Sie wollen nur vermitteln: Da sei Härte gefragt und keine hohen Zahlen von Schutzgewährungen.

Personen zählen, und nicht Entscheidungen!

Wichtig ist zu wissen, dass eine Person mit ihrem „Asyl-Bescheid“ gleichzeitig eine, zwei oder sogar drei Teilentscheidungen erhält. Erhält jemand zwar kein Asyl, aber Subsidiären Schutz, dann erhält die Person eine negative und eine positive Entscheidung. Oder: sie erhält nichts von beiden, aber humanitäres Aufenthaltsrecht. Dann sind es drei Teilentscheidungen: zwei negative und eine positive.

Autor:innen

Mag. Christoph Riedl
Grundlagen & Advocacy
Sozialexperte Migration, Asyl, Integration, Menschenrechte