Die Diakonie als Hilfs- und Sozialorganisation der Evangelischen Kirchen blickt in Österreich auf eine langjährige Geschichte zurück. Entstanden ist die Diakonie in ihrer heutigen Form in Deutschland.

Die Diakonie feiert heuer ihren 150. Geburstag. Im Jubiläumsjahr erzählen wir die Geschichte der Diakonie: Anhand vieler Geschichten von Menschen, die Diakonie gelebt, erlebt und geprägt haben: Gründer:innen, Mitarbeiter:innen und Klient:innen. Wir blicken zurück und schauen in die Zukunft – unter dem Motto „aufeinander zugehen“.

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Die Wiege der Diakonie

Die Wurzeln der organisierten Diakonie liegen im Kernland der Reformation, in Deutschland. Als Gründer gilt der evangelische Pfarrer und Sozialreformer Johann Hinrich Wichern, als Geburtsstunde das Jahr 1848. Das Engagement der evangelischen Kirche in der Armen- und Krankenfürsorge reicht freilich weiter zurück. 

In der Zeit der beginnenden Industrialisierung nahmen Armut und soziale Not rasant zu. Als Antwort auf das Elend, in dem Hamburgs Straßenkinder lebten, gründete Wichern 1833 das „Rauhe Haus“, ein so genanntes „Rettungshaus“, in dem er Kinder „mit den denkbar schlechtesten Aussichten“ aufnahm und ihnen Bildung zuteilwerden ließ.

Am evangelischen Kirchentag in Wittenberg 1848 betrieb Wichern die Gründung des „Central-Ausschuss[es] für Innere Mission der Evangelischen Kirchen in Deutschland“. Der Grundgedanke der Inneren Mission war die Erneuerung der Evangelischen Kirche von innen heraus durch die Verbindung von Glaube und praktisch gelebter Nächstenliebe.

Es tut eines not, dass die Evangelische Kirche anerkenne: Die Liebe gehört mir wie der Glaube. Die rettende Liebe muss der Kirche das Werkzeug werden, in dem sie ihren Glauben erweiset.

Pfarrer Johann Hinrich Wichern (1808–1881), Gründer der Diakonie, am Kirchentag in Wittenberg

In den folgenden Jahren entstanden überall in Deutschland Vereine der Inneren Mission. Es wurden u.a. Waisenhäuser, Schulen und Ausbildungsstätten, Heime für Menschen mit Behinderungen, Krankenhäuser und Stadtmissionen errichtet.

Gezeichneter Wichern-Adventkranz mit 26 Kerzen
Der Adventkranz ist eng mit den Wurzeln der Diakonie verbunden. Wir danken dem Rauhen Haus, Hamburg, das uns Fotos historischer Zeichnungen des Wichernschen Adventskranzes zur Verfügung gestellt hat. / © Rauhes Haus Hamburg

Der Adventkranz

Wussten Sie, dass der Adventkranz eine Erfindung der Diakonie ist? Pfarrer Wichern hat 1839 den ersten Adventkranz für die Kinder im „Rauhen Haus“ montiert.

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1874: offizielles Gründungsjahr der Diakonie in Österreich

In Österreich sollte die Etablierung der Inneren Mission noch dauern. Zwar war 1848 der Wiederaufbau evangelischen Lebens nach 180 Jahren Gegenreformation bereits im Gange, doch erst das Protestantenpatent Franz Josefs I. von 1861 ermöglichte die rechtliche Anerkennung sozialer evangelischer Vereine.  

Gleich 1861 wurde in Wien der Evangelische Waisenversorgungsverein gegründet.  

Als offizielles Gründungsjahr der Diakonie in Österreich gilt jedoch 1874 – in Anlehnung an Deutschland, wo die Gründung des Central-Ausschusses für Innere Mission 1848 als Geburtsstunde der Diakonie angesehen wird: Am 3. Jänner 1874 genehmigte die Statthalterei Linz die Zulassung des „Evangelischen Vereins für Innere Mission in Gallneukirchen“ (heute: Diakoniewerk).  

Zentrale Gründungsfigur war Pfarrer Ludwig Schwarz, der 1871 von Görz (im heutigen Italien) in die neu gegründete evangelische Pfarrgemeinde Gallneukirchen gekommen war. Er, sein Bruder Ernst Schwarz, Pfarrer in Waiern in Kärnten, und Gräfin Elvine de La Tour in Treffen, die die Brüder Schwarz aus Görz kannte, legten die Basis für die diakonische Arbeit in Österreich. 

Gallneukirchen: Zentrum der Diakonissen

Die Idee zur Gründung eines Vereins für Innere Mission wurde in der Neujahrsnacht 1872/73 im Hause von Pfarrer Ludwig Schwarz geboren. Erste Aktivitäten waren ein Waisen- und Rettungshaus in Weikersdorf und die Krankenpflege, für die Pfarrer Schwarz Diakonissen nach Gallneukirchen holte. 1877 traten mit Elise Lehner und Elisabeth Obermeier die ersten Diakonissen ihren Dienst an, 1884 wurde das Diakonissenmutterhaus Gallneukirchen in den Kaiserswerther Verband, einem Zusammenschluss von Diakonissen-Mutterhäusern, aufgenommen. 

Von Gallneukirchen aus weitete sich das Engagement rasch aus: Schon im Oktober 1874 wurden erste Pläne geschmiedet, die Arbeit auf ganz Oberösterreich auszudehnen, der Verein wurde umbenannt in „Oberösterreichischer evangelischer Verein für Innere Mission in Gallneukirchen“. Bald kamen – auf Anfragen von Gemeinden, Vereinen und Einzelpersonen – Gallneukirchner Diakonissen in der häuslichen Pflege sowie in Waisen- und Krankenhäusern in Wien, Niederösterreich, Böhmen, der Steiermark, Salzburg und Tirol zum Einsatz. In Gallneukirchen wurden weitere Sozialeinrichtungen, insbesondere auch für Menschen mit Behinderungen, eröffnet. 

Heute ist das Diakoniewerk der größte diakonische Träger in Österreich.

Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn Jesus in Seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Mein Lohn ist, dass ich darf. 

Leitspruch der Diakonissen

An vielen Orten gleichzeitig: Bildung für arme und verwaiste Kinder

1873/74 war insgesamt eine entscheidende Zeit für die Geschichte der Diakonie in Österreich.  

So plante in Goisern die Pfarrersfrau Luise Wehrenfennig ein evangelisches Erziehungsheim für arme und verwaiste Mädchen, das 1875 seinen Betrieb aufnahm. 

Zur gleichen Zeit wie sein Bruder Ludwig verließ Ernst Schwarz Görz (im heutigen Italien) und wurde Pfarrer in Waiern bei Feldkirchen (Kärnten). Gemeinsam mit seiner Frau Pauline begann er 1873 mit der Betreuung von Burschen im Pfarrhaus, 1888 entstand daraus eine „Kinderrettungsanstalt“.  

Ebenfalls 1873 gründete Gräfin Elvine de La Tour – religiös geprägt von Ludwig Schwarz – einen Waisen- und Erziehungsverein in Görz, der schon 1878 wieder aufgelöst wurde. Nachhaltig war das Engagement der Gräfin in Treffen in Kärnten, wo sie 1885 mit dem Aufbau christlicher Bildungseinrichtungen, Waisenversorgung und Altenpflege begann.  

Sowohl in Treffen als auch in Waiern wurde die diakonische Arbeit nach dem Tod der Gründungsfiguren fortgesetzt und schließlich 2005 zusammengeführt zur Diakonie de La Tour, die heute einer der vier großen diakonischen Träger in Österreich ist. 

In Wien wurde 1890 eine Diakonissenstation eröffnet, die sich unter anderem in einem Kinderheim um verwaiste Mädchen kümmerte. 

Erheischt nicht unsere Christenpflicht, dass wir uns der vielen Armen, einheimischen und eingewanderten, erbarmen, welche wegen chronischer Leiden, anhaltenden Siechtums aus den Spitälern entlassen werden, oder wegen mangelnder Zuständigkeit – solche Fälle sind nicht selten, da viele unserer Glaubensgenossen Ausländer sind – keine Aufnahme beanspruchen können? 

Verein für die evangelische Diakonissensache in Wien, Aufruf zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I., 1898
Damit kein Kind alleine ist! / © Nadja Meister

Vom Zentralverein für Innere Mission zur Diakonie Österreich

Um die vielen und vielfältigen Initiativen evangelischer Nächstenliebe zu vernetzen, wurde 1912 der „Evangelische Zentralverein für Innere Mission in Österreich“ gegründet.  

Die Betreuung der großen Flüchtlingsströme im Zuge des Ersten Weltkriegs waren eine Bewährungsprobe für den Zentralverein ebenso wie für die diakonischen Werke. 

Während der NS-Diktatur wurde der Zentralverein nach dem Führerprinzip umgebaut zum „Evangelischen Zentralverein für Innere Mission in der Ostmark“. Alle Werke und Vereine der Inneren Mission in Österreich standen unter der Kontrolle der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV), wurden entweder dieser gleichgeschaltet oder enteignet. 

Nach 1945 sollten möglichst schnell die Vereinsstrukturen der Inneren Mission wiederaufgebaut werden. Das geschah zunächst in den Werken. Bis zu einem neuen österreichweiten Zusammenschluss diakonischer Vereine sollte es einige Zeit dauern: 1968 wurde das Diakonische Werk für Österreich, die heutige Diakonie Österreich, gegründet. Noch im selben Jahr beschloss der Diakonische Rat die Gründung der Diakonie Katastrophenhilfe

Neugründungen nach dem Zweiten Weltkrieg 

1963 gründete die Evangelisch-methodistische Kirche das Diakonie Zentrum Spattstraße, das im Auftrag des Magistrats Linz Mädchen betreute. Dem gingen die Einrichtung eines Kindergartens 1956 in einer Baracke und ein Burschenheim für ungarische Flüchtlinge voraus, für dessen Leitung die methodistische Familie Siegrist aus der Schweiz nach Österreich kam. Über die Jahre hat sich das Diakonie Zentrum Spattstraße zum viertgrößten diakonischen Träger in Österreich entwickelt, sein Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit Kindern. 

1989 öffnete Pfarrerin Christine Hubka die Türen der evangelischen Pfarrgemeinde Traiskirchen für hilfesuchende Flüchtlinge. Aus einer Notschlafstelle und Beratung im Gemeindesaal wurde der Diakonie Flüchtlingsdienst, der in ganz Österreich tätig ist. Der Flüchtlingsdienst ist mit der Diakonie Bildung, die den Betrieb von Kindergärten, Schulen und Horten für das Evangelische Schulwerk Wien übernommen hat, und der Diakonie Eine Welt Sozial in der Diakonie Eine Welt zusammengeschlossen. Die Diakonie Eine Welt ist das jüngste der vier großen diakonischen Werke in Österreich. 

Neben den erwähnten vier großen diakonischen Werken sind im Laufe der langjährigen Geschichte der Diakonie zahlreiche größere und kleinere Vereine und Einrichtungen entstanden. Einige wurden wieder aufgelöst, viele bestehen fort. Aktuell leisten unter dem Dach der Diakonie 30 Organisationen Dienst am:an der Nächsten.