Bildung beginnt mit Haltung – Im Gespräch mit Dr. Josef Zollneritsch

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03. Juli 2025
Graz, 18.06. Diese Episode des Podcasts „Menschlichkeit zum Mitnehmen“ wurde vor den tragischen Ereignissen, die sich am 10. Juni 2025 an einer Grazer Schule ereignet haben, aufgezeichnet. Gerade angesichts dessen ist das behandelte Thema heute wichtiger denn je. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, den Podcast auszustrahlen.

In der aktuellen Folge ist Dr. Josef Zollneritsch zu Gast. Als langjähriger Leiter der Abteilung für Schulpsychologie und schulärztlichen Dienst in der Bildungsdirektion Steiermark, klinischer Psychologe und Gründer mehrerer Fachinstitutionen bringt er fundiertes Wissen zu psychosozialen Herausforderungen im Bildungsbereich mit – und eine klare Haltung zu den Themen Menschlichkeit, Digitalisierung, Reformpädagogik und sozial-emotionalem Lernen.

Den Menschen in seiner Ganzheit annehmen

Gleich zu Beginn betont Dr. Zollneritsch, wie zentral Menschlichkeit für seine Arbeit ist: „Es geht darum, Menschen so zu nehmen, wie sie sind, sie zu akzeptieren, umfänglich anzunehmen, den Menschen auch die Bedeutung und Wichtigkeit zu geben, die sie für sich selbst in Anspruch nehmen – Würde, Respekt.“ Für ihn beginnt jedes gelingende Miteinander mit dieser grundlegenden Haltung – im Alltag genauso wie im schulischen Kontext.

Als zentrale Ansprechstelle für Kinder und Jugendliche in Krisen beschreibt Zollneritsch die Schulpsychologie als „Beziehungsberuf“. Die häufigsten Anliegen sind laut ihm „Schwierigkeiten in der Persönlichkeit“, insbesondere Probleme mit dem Selbstwert, der Identität oder dem Gefühl, dazuzugehören. Diese Herausforderungen wirken sich direkt auf die Lernfähigkeit aus: „Die sozial-emotionale Befindlichkeit von jungen Menschen ist ein labiles Gut“, so Zollneritsch.

Digitale Parallelwelten und der Auftrag der Schule

Ein zentrales Thema des Gesprächs ist der Umgang mit digitalen Medien, insbesondere sozialen Netzwerken. Diese seien tief verknüpft mit dem Bedürfnis nach sozialer Teilhabe, können jedoch auch problematische Vergleiche und Cybermobbing fördern. „Unsere Aufgabe ist, reale Beziehungsangebote zu schaffen – überall dort, wo sich junge Menschen befinden“, mahnt der Schulpsychologe. Auch Online-Beratungsangebote können dabei eine hilfreiche Ergänzung sein, wenn sie professionell und unterstützend gestaltet sind.
Bezugnehmend auf die Diskussion rund um Handyverbote an steirischen Schulen, plädiert Dr. Zollneritsch für einen differenzierten Blick: „Der Begriff Handyverbot ist ein Schlagwort. Es geht darum, mit den Jugendlichen zu vereinbaren, wie eine sinnvolle Nutzung aussehen kann.“ Für ihn steht fest: Die verantwortungsvolle Nutzung digitaler Tools muss Teil der schulischen Bildung sein – auch im Hinblick auf Berufstauglichkeit („Employability“) und kritische Medienkompetenz.

Er sieht in klar geregelten Handyregelungen durchaus Vorteile: „So eine Maßnahme kann einen kommunikativen Mehrwert darstellen und die Kohäsion unter den Schüler:innen fördern.“ 

Soziales Lernen und innere Haltung als Basis

Für Dr. Zollneritsch steht fest: „Das soziale Lernen ist die Grundlage für Lernbereitschaft und Lernfähigkeit.“ Es brauche dafür Haltung, Zeit und Methodik – und vor allem Bewusstsein bei Lehrkräften und in der gesamten Schule. Nur dann könne aus einer Klasse eine „lernende Gemeinschaft“ entstehen. Das Prinzip „Fördern und Fordern“ sieht er dabei als zeitgemäßes Leitmotiv.

In einer vielfältigen Gesellschaft spiegelt sich diese Diversität auch in der Schule wider. Der Umgang mit unterschiedlichen Sprachen, Religionen oder sozialen Hintergründen erfordere ein hohes Maß an pädagogischer Sensibilität: „Diese steigende Diversität zu akzeptieren und zu nutzen, als Mehrwert – das ist eine anspruchsvolle Aufgabe für Lehrkräfte, die weit über Fachkompetenz hinausgeht.“

Auch der zunehmende Quereinstieg in den Lehrberuf wird thematisiert: Für Zollneritsch sei dieser einerseits herausfordernd, andererseits eine Bereicherung – wenn die Bereitschaft zur Selbstreflexion gegeben ist. Supervision, kollegiale Hospitation oder Intervision nennt er als wirksame Methoden zur Qualitätssicherung im pädagogischen Handeln.

Alternative Bildungsansätze als Mehrwert

Beim Thema der individuellen Förderung von Schüler:innen wurden auch alternative Bildungsansätzen angesprochen. Dabei äußerte sich Dr. Zollneritsch sehr positiv über Modelle wie die Dalton-Pädagogik, wie sie etwa an den de La Tour Schulen in Seiersberg und Deutschlandsberg angewendet wird. 
Besonders betonte er den hohen Stellenwert von Eigenverantwortung, Kooperation und vernetztem Arbeiten, den solche Konzepte fördern. „Im traditionellen Pädagogik-System haben wir eigentlich eher ein System der Gängelung und Bevormundung. Ich wäre persönlich dafür, diese sogenannten alternativen Ansätze in die Regelpädagogik noch viel stärker mit hereinzunehmen.“

Ob beim Umgang mit Gewalt, psychischen Belastungen oder Digitalisierung – für Dr. Zollneritsch ist klar: „Es beginnt bei der Haltung.“ Suspendierungen etwa seien nur im Notfall ein geeignetes Mittel. Vielmehr brauche es zusätzliche Strukturen wie „Time-Out-Gruppen“ an Schulen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf.
Die aktuelle Podcastfolge mit Dr. Josef Zollneritsch zeigt eindrucksvoll, wie Bildung, Menschlichkeit und psychologische Kompetenz zusammengehören. Ein Plädoyer für eine Schule, die junge Menschen in ihrer Ganzheit sieht – und ihnen damit die besten Chancen für Entwicklung bietet.

Jetzt reinhören in „Menschlichkeit zum Mitnehmen“ – überall, wo es Podcasts gibt: https://shorturl.at/ELFp0

Ihre Ansprechperson zu dieser News

Mag. Andreas Neubauer MBA
Stabstelle Kommunikation Steiermark