Keine Angst vorm Einzigartig-sein!

  • Story
03. September 2025
In der Inklusionsgruppe im Kindergarten Floridsdorf bekommen die Kinder individuell und auf ihre Bedürfnisse abgestimmt, was sie brauchen. Und vor allem mehr Zeit und Raum als in jeder Regelgruppe. In einer von Geduld, Respekt und Verständnis geprägten Grundhaltung entsteht so ein tolerantes Miteinander und die Basis für eine starke Gesellschaft.

Kindergartenkinder, die eine Inklusionsgruppe besuchen, haben viele Vorteile. Denn in diesen Gruppen herrschen Idealbedingungen, die sonst aufgrund von Ressourcenmangel nirgendwo zu finden sind. Doch was ist das Besondere an dieser Gruppe? Es gibt eine Betreuungsperson mehr, also neben der Hauptpädagogin ist auch eine Inklusionspädagogin vor Ort, sowie die Assistentinnen. Von insgesamt 20 Kindern sind 14 Kinder Regelkinder und sechs Inklusionskinder, sprich Kinder mit unterschiedlichen Diagnosen wie Autismus, Trisomie21, ADHS, Entwicklungsverzögerung und expressive Sprachstörung. Doch spielt das überhaupt eine Rolle? Braucht es eine solche Unterscheidung überhaupt? Und haben nicht alle Kinder besondere Bedürfnisse?

Mehr Raum für Zeit, Ansprache und Aufmerksamkeit

Wir sprechen mit zwei Eltern, die ihre Kinder bewusst in der I-Gruppe des Kindergartens Floridsdorf angemeldet haben und fragen, warum sie sich für dieses Modell entschieden haben? Michael A. hat seine 5-jährige Tochter Viktoria in der Inklusionsgruppe in Floridsdorf untergebracht, weil die Familie schlechte Erfahrungen mit sogenannten Regelgruppen gemacht hat. „Ich bin dann in diese I-Gruppegekommen und wusste sogleich: Hier herrscht eine Atmosphäre der Toleranz und des Wohlwollens“, erzählt uns der Vater. „Die meisten Kinderbetreuungsplätze sind für den industriellen Großeinsatz produziert. Sobald ein Kind aus der Reihe tanzt und nicht dem Regelsystem entspricht, werden ihm Mängel zugesprochen, wird es rausgeschmissen oder es werden unprofessionelle Diagnosen erstellt. Denn es geht um Effizienz. Doch in der I-Gruppe bekommt meine Tochter, endlich was sie braucht. Viel Zeit, Ansprache und Aufmerksamkeit."

Autistisch und unwiderstehlich charmant

Aufgrund des besseren Betreuungsschlüssels sind die Pädagog:innen auch weniger gestresst und davon profitieren natürlich alle Kinder. Es wird auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder besser eingegangen, Diagnose oder nicht spielt dabei keine große Rolle. Die Grundhaltung in einer I-Gruppe ist geprägt von Geduld, Respekt und Verständnis. Viktorias Papa hat rasch bemerkt, dass sich seine Tochter durch den Besuch der I-Gruppe zu einer weltoffenen, toleranten Persönlichkeit entwickelt hat, die keine Berührungsängste vorm Einzigartig-sein kennt. Einer ihrer besten Freunde im Kindergarten ist Darwin. Er ist im Autismus-Spektrum und hat das Downsyndrom, doch Darwin steht auf fast jeder Geburtstags-Einladungsliste, denn er ist auch kleiner Charmeur und lacht für sein Leben gern. Viktoria und ihre Freundin Alina sehen es als ihre Aufgabe Darwin möglichst oft zum Lachen zu bringen und machen zusammen viel Unfug und Späße. Und die Auswahl an Spielkameraden vermehrt sich durch die I-Gruppen-Erfahrung. Egal welches Alter, egal welchen kulturellen Background und egal welche Diagnose, die Kinder lernen offen auf andere zuzugehen und ihre Freundschaften aus dem bunten Pool an diversen Persönlichkeiten zu fischen.
Auch Viktorias Papa bestätigt das: „Auch außerhalb des Kindergartens hat sich Viktoria ein offenes Weltbild angeeignet und findet im Park immer jemandem zum Spielen, sie schließt niemanden kategorisch aus.“

„Auch außerhalb des Kindergartens hat sich Viktoria ein offenes Weltbild angeeignet und findet im Park immer jemandem zum Spielen, sie schließt niemanden kategorisch aus.“

Vater von Kindergartenkind Viktoria
In einer Inklusionsgruppe sind nicht alle gleich. Und genau das wird gefeiert und geschätzt!

In der I-Gruppe werden die Kinder von Anfang an geprägt, im Sinne der Toleranz: jeder Mensch ist anders und das ist okay so. Sie lernen, dass es Kinder gibt, die manchmal länger brauchen und auf die man besonders Acht geben muss oder die in manchen Situationen anders reagieren und nicht alles mitmachen können oder wollen. In Inklusionsgruppen hat jede:r die Zeit, die er oder sie braucht, um sich wohlzufühlen und wird in seinem Einzigartig-sein unterstützt. Auch Alina geht in die Inklusionsgruppe in Floridsdorf und profitiert von der starken Durchmischung und den vielfältigen Persönlichkeiten. Ihre Mama erzählt uns: „Was die Kinder hier von Anfang an erfahren, prägt sie ein Leben lang. Sie lernen soziale Kompetenz, Rücksichtnahme und sich gegenseitig zu unterstützen. Meine Tochter hat vor allem auch gelernt, sich für andere einzusetzen und ein Feingefühl zu entwickeln, wenn jemand Hilfe braucht. Neulich hat sie in der Garderobe ein weinendes Kind angetroffen, das sich nicht in die Gruppe traute. Sie hat es einfach an der Hand genommen und in den Gruppenraum geführt. Ganz selbstverständlich.“

„Was die Kinder hier von Anfang an erfahren, prägt sie ein Leben lang. Sie lernen soziale Kompetenz, Rücksichtnahme und sich gegenseitig zu unterstützen. Meine Tochter hat vor allem auch gelernt, sich für andere einzusetzen und ein Feingefühl zu entwickeln, wenn jemand Hilfe braucht."

Mutter von Kindergartenkind Alina
Inklusion ist Win-Win für alle. Vor allem für eine starke Gesellschaft

Softskills, die in der heutigen Zeit unerlässlich sind für eine immer diverser werdende Gesellschaft. Es sind wichtige Fähigkeiten, die sie später auch im Berufsleben anwenden können und die wir als Gesamtgesellschaft dringend brauchen werden in Zukunft. 
„Welche Kinder sind die Regelkinder und welche die I-Kinder?“ Diese Frage hat sich der Vater von Viktoria am Anfang öfters gestellt, als er seine Kinder in die Gruppe begleitet hat. „Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht mal. Und das ist gut so, genauso soll es sein. Warum sollten wir immer diese Unterscheidung machen?“
Auch Alinas Mama, die selbst Pädagogin ist, teilt diese Meinung: „Ich wünsche mir eine Zukunft, in der man nicht mehr unterscheidet zwischen Regelgruppen und I-Gruppen, weil selbstverständlich auf jede:n und seine Eigenheiten Rücksicht genommen wird.“ 
Nach dem berührenden Gespräch im Kindergarten sind wir uns alle einig: Keine Schubladisierung, keine Diagnosen, kein Leistungsdruck. Jeder darf so sein wie er ist, jeder in seinem Tempo. Jeder sollte mit seinen Talenten und Stärken gesehen, geschätzt und bestmöglich gefördert werden. Denn jede:r bringt etwas in unsere Gesellschaft ein - jede:r etwas anderes. 

"Mama, was ist ein I-Kind?"

"Hmmm, dein Freund Tom ist zum Beispiel ein Inklusionskind. Er braucht manchmal länger für seine Aufgaben."

"Aber Mama, ich brauch doch auch manchmal länger."

Drei Kinder mit und ohne Behinderungen lachen in die Kamera. Sie sitzen auf Tischen und halten Übungsblätter hoch.
© Nadja Meister

Inklusive Bildung!

Die Schule ist wie unsere Gesellschaft. Nur in „klein“ 😉. Menschen sind unterschiedlich. Kinder sind unterschiedlich. Jeder Mensch hat Stärken, jeder Mensch kann und will etwas beitragen. Wenn Kinder miteinander lernen, lernen sie voneinander, und alle profitieren.

Mehr erfahren