Jugend ohne Sicherheiten: Lebensrealitäten junger Geflüchteter
- Story
Maryan* ist eine junge Frau mit Zukunftsplänen: Sie möchte selbständig werden und einen Beruf finden, der ihr ein unabhängiges Leben ermöglicht und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Beitrag leistet. Und Maryan ist geflüchtet. Daher hat sie Hürden zu bewältigen, die andere in ihrem Alter nicht kennen. Gerade angesichts der ungewissen Wiener Sozialpolitik für geflüchtete Menschen stellt sich die Frage, ob sie ihre Ziele überhaupt noch umsetzen kann.
Flucht ohne Ankunft
In Österreich sozialisierte Jugendliche, die in einem tragfähigen familiären Netzwerk aufwachsen, beschäftigen sich üblicherweise damit, ihre eigene Identität zu entwickeln und beginnen eine Berufsausbildung. Ein Auszug aus den elterlichen vier Wänden steht für junge Erwachsene in Österreich durchschnittlich mit 24 Jahren an der Tagesordnung.
Die Lebensrealität von Maryan sieht anders aus. Geflüchtet ist sie mit 15 Jahren vor einer Zwangsheirat mit einem 40 Jahre älteren Mann. Ihr Asylverfahren dauert rund zwei Jahre. Da sie, entgegen der Aussage ihrer Mutter, von den österreichischen Behörden als volljährig eingestuft wird, verbringt sie diese Zeit nicht in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft für Minderjährige, sondern in einem abgeschiedenen Grundversorgungsquartier für Erwachsene am Land. Dort hat sie kaum Möglichkeiten, Deutsch zu lernen.
Maryan wohnt mit einer Bekannten in einem Elendsquartier des Wiener Schattenwohnungsmarktes. Wenn es regnet, ist es in Maryans Zimmer so feucht, dass sie sich am nächsten Tag mit ihrer Matratze zum Trocknen auf den sonnigen Gehsteig setzt.
Dies ändert sich erst 2024, als Maryan subsidiären Schutz erhält. Da sie in Wien Freundinnen hat und am Land ohne Deutschkenntnisse weder eine Arbeit noch eine Wohnung finden kann, übersiedelt sie in die Stadt. Dort wohnt sie mit einer Bekannten in einem Elendsquartier des Wiener Schattenwohnungsmarktes. Ihr Zimmer ist im Souterrain eines Altbaus. Im ganzen Haus leben Menschen mit Fluchtgeschichte – auch Kinder. Wenn es regnet, ist es in Maryans Zimmer so feucht, dass sie sich am nächsten Tag mit ihrer Matratze zum Trocknen auf den sonnigen Gehsteig setzt.
Mit Zukunftsplänen
Trotzdem ist Maryan voller Hoffnung auf eine positive Zukunft. Sie besucht einen Alphabetisierungs- und Deutschkurs, später beginnt sie mit dem Jugendcollege der Stadt Wien. Das ist eine vollkommen neue Erfahrung für sie. In Somalia hatte sie nie die Gelegenheit, eine Schule zu besuchen. In Wien lernt sie nun Lesen, Schreiben, Rechnen, Deutsch und ein bisschen Englisch. Außerdem findet sie einen Wohnplatz in einem Wohnprojekt für junge Erwachsene mit Fluchterfahrung.
Maryan beginnt gemeinsam mit ihrer Beraterin vom Wohnprojekt, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Nie wieder möchte sie in eine Situation geraten, in der sie anderen ausgeliefert ist. Ihr Ziel ist es, den Pflichtschulabschluss nachzuholen und eine Ausbildung zu machen – am liebsten in Pflegebereich. Die junge Frau hat gehört, dass die Jobchancen in diesem Bereich gut sind und es in Österreich an Pflegekräften fehlt. Eine Ausbildung im Pflegebereich sieht sie als Chance, einen sicheren Job zu haben und der Gesellschaft etwas zurück geben zu können.
...und Existenzängsten
Im Oktober 2025 geraten ihre Pläne ins Wanken. Sie erfährt, dass die Stadt Wien die Sozialleistungen für subsidiär Schutzberechtigte ab 2026 wahrscheinlich drastisch reduzieren wird. Bisher hat Maryan 1209 Euro zur Verfügung. 16,26 Euro pro Tag erhält sie vom AMS für die Teilnahme am Jugendcollege, den Rest vom Sozialamt. Ab 2026 wird sie, tritt die geplante Kürzungspolitik in Kraft, keinen Anspruch mehr haben auf den Anteil vom Sozialamt. Das bedeutet, dass sie von ihrem AMS-Bezug – rund 480 bis 500 Euro pro Monat – ihre gesamten Ausgaben (Miete, Lebensmittel, Kleidung, Öffi-Ticket etc.) begleichen muss.
Damals wurde sie von kreisenden Gedanken gequält, Erinnerungen an ihre Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht. Sie hatte Panikattacken, war depressiv und antriebslos. Maryan möchte mit aller Kraft verhindern, wieder so leben zu müssen.
Maryan möchte weiterhin das Jugendcollege besuchen und lernen. Sie will nicht abbrechen, um in einem Grundversorgungsquartier ohne Zukunftsperspektive und ohne Tagesstruktur abzuwarten, wie die Zeit vergeht. Wie sich das anfühlt, weiß sie aus der Zeit während des Asylverfahrens. Damals wurde sie von kreisenden Gedanken gequält, Erinnerungen an ihre Erfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht. Sie hatte Panikattacken, war depressiv und antriebslos. Maryan möchte mit aller Kraft verhindern, wieder so leben zu müssen.
Sie überlegt, dass sie zusätzlich zum Jugendcollege arbeiten gehen könnte. Dadurch würde sie zwar sicherlich länger bis zum Pflichtschulabschluss benötigen, weil sie weniger Zeit zum Lernen hätte, trotzdem erscheint es Maryan als der beste Weg. Von ihrer Beraterin bei der Diakonie erfährt sie jedoch, dass sie ab 2026 wahrscheinlich nichts mehr dazuverdienen darf, solange sie das Jugendcollege besucht. Ein geringfügiger Zuverdienst bei laufenden AMS-Bezügen ist laut einer Änderung im Arbeitslosenversicherungsgesetz ab 2026 nicht mehr erlaubt.
...in eine ungewisse Zukunft
Maryan weiß nicht, wie sie im Falle der Kürzungspolitik ihre notwendigsten Ausgaben begleichen soll. Belastenderweise kommt hinzu, dass manche in Österreich kein Verständnis für ihre Situation haben. Immer wieder hört und liest sie, dass Geflüchtete doch einfach arbeiten gehen sollen - oder zurückgehen sollen, wenn es ihnen nicht passt. Manchmal folgen auch Rechtfertigungen: Andere Bundesländer oder EU-Staaten machen es doch auch so, das Budget reiche eben nicht. Und so weiter.
Bei einer jungen Frau wie Maryan sorgen solche Nachrichten und Meinungen für große Verunsicherung. Sie weiß nicht, ob sie ihre beruflichen Ziele weiter verfolgen kann und damit ihren Traum von einem Leben, in dem sie sich von niemandem abhängig machen muss. Ein Leben, in dem Würde, Menschenrechte und Chancengerechtigkeit auch für sie gelten.
*Der Name wurde anonymisiert. Die Geschichte von Maryan steht stellvertretend für viele geflüchtete Frauen mit einer ähnlichen Biographie.
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Text von Marion Hackl, Einrichtungsleiterin KARIBU – Wohnplätze für junge Erwachsene mit Fluchtbiographie des Diakonie Flüchtlingsdienst.