Integration ist die Frage - Residenzpflicht ist die falsche Antwort

  • Analyse
23. April 2024
Die Politik muss ausreichend Wohnraum schaffen: in den kleineren Städten, in allen Bundesländern.

Der Ruf nach einer „Residenzpflicht“ ist erneut laut geworden. Nur: Eine solche würde nichts lösen. Die Politik muss ausreichend Wohnraum schaffen: in den kleineren Städten, in allen Bundesländern. - Aber klären wir die Fragen einzeln:

Leistbarer Wohnraum fehlt überall

Ab dem Ende der 1990er Jahre bis zur Einführung der Grundversorgung im Jahr 2004 gab es in Österreich ein massives Versorgungsproblem für Asylwerber:innen. Also für Menschen, die in Österreich um Asyl ansuchen. Nur ein Drittel der Asylsuchenden war damals in staatlicher Bundesbetreuung. Abhilfe schaffte die Einführung des Rechtsanspruches auf Unterbringung und Versorgung während des Asylverfahrens.

Bei den anerkannten Flüchtlingen, also jenen, die in Österreich bereits Schutz vor Verfolgung erhalten haben, sind fehlende Integrations-Start-Wohnungen heute ein riesiges Problem.

Allzu viele Menschen werden am freien Wohnungsmarkt Opfer von Betrügereien und müssen in völlig überteuerten und oft mehr als desolaten Wohnungen unterkommen.
Die Einführung eines Rechtsanspruches auf eine Integrations-Start-Wohnung würde das Problem beseitigen.

Flüchtlinge müssen vier Monate nach ihrer Asyl-Anerkennung in Grundversorgungs-Quartieren wohnen, wo sie während des Asylverfahrens untergebracht und versorgt waren. Zu diesem Zeitpunkt konnten die meisten – mangels Möglichkeiten – noch nicht viel dazu beitragen, dass sie sofort einer Arbeit nachgehen können. Sie sind also zunächst einmal auf die Versorgung durch die Sozialhilfe angewiesen. Und nur mit dieser Basisversorgung  ist es für sie möglich, sich eine Wohnung anmieten zu können.

Die Kompetenz für die Sozialhilfe-Leistungen liegt bei den Bundesländern. Was die Möglichkeiten angeht, eine leistbare Wohnung zu finden, ist es schwieriger: Bis 2005 fühlte sich der Bund für die Bereitstellung des ersten Wohnraumes für anerkannte Flüchtlinge zuständig.  Dann allerdings hat der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) seine Wohnungen verkauft und die meisten Zuweisungsrechte in Wohnungen der Wohnbaugenossenschaften aufgegeben.

Dieser heute fehlende Integrations-Wohnraum des Bundes ist ein Riesen-Problem.

Und genau da liegt im Übrigen auch der Grund, warum die Ukraine-Flüchtlinge, die ja bereits mit ihrer Ankunft in Österreich über einen eigenen Vertriebenen-Status verfügen, alle in das Grundversorgung-System gepresst wurden: Weil es keinen adäquaten Wohnraum gab.

Bund muss seine Zuständigkeit für Integrations-Wohnraum wieder übernehmen

Die Wiederaufnahme der eigentlich weiterhin bestehenden Bundeszuständigkeit für den ersten Integrations-Wohnraum würde Abhilfe schaffen. Und durch eine bundesweite Verteilung von Wohnungen gäbe es auch einen Steuerungseffekt darüber, wo sich anerkannte Flüchtlinge dauerhaft niederlassen.

Warum ziehen so viele (anerkannte) Flüchtlinge nach Wien?

Der Hauptgrund: Viele sind schon da! Die meisten österreichischen Bundesländer erfüllen ihre Grundversorgungsquote nicht. Wien übererfüllt diese inzwischen mit 197 Prozent.

Das heißt: wenn sie ihren positiven Asylbescheid bekommen, leben viele schon Wien.

Mangelnde Integrationsangebote in vielen anderen Bundesländern

Ein weiterer Grund sind mangelnde Integrationsangebote in vielen anderen Bundesländern und eine sehr eingeschränkte Mobilität. Selbst kostenlose Deutschkurse gibt es in den meisten Bundesländern während des Asylverfahrens noch immer nicht. In Wien aber schon.

Viele Grundversorgungsquartiere, in denen die Geflüchteten während ihres Asylverfahrens leben, sind nach wie vor sehr abgelegen. Kursbesuche, Arbeitssuche, der Gang zum Arzt, zu Behörden, der Besuch von Freunden, all das ist mit 40 Euro Taschengeld pro Monat mit einem schlecht ausgebauten öffentlichen Verkehr, der keine Ermäßigungen für Menschen ohne Einkommen kennt, nicht möglich.

All das zieht Menschen in die Stadt. Die größte Stadt mit der besten Infrastruktur ist Wien.

Bis auf Tirol und Wien haben alle Bundesländer subsidiär Schutzberechtigten die Sozialhilfe gestrichen und sie zurück in die Grundversorgungsquartiere geschickt. Von dort aus eine Arbeit zu finden, ist de facto unmöglich. Auch das ist ein Grund, warum viele nach Wien gehen, weil sie dort während der Arbeitssuche besser versorgt sind.

Und: Wenn jemand, der in erster Instanz subsidiären Schutz bekommen hat, dann in Berufung geht, stehen die Chancen gut, in 2. Instanz doch noch Asyl zu erhalten. (Die Aufhebungsquote lag 2023 bei 42 Prozent). Inzwischen ist die Person aber oftmals aufgrund der fehlenden Integrationsmöglichkeiten an ihrem Wohnort nach Wien gezogen.

Nur wer Asyl hat, darf seine Familie ohne Wartefrist nachholen. Subsidiär Schutzberechtigte müssen drei Jahre warten.

Warum gibt es gerade jetzt so viele Familienzusammenführungen?

Aktuell sind die Asyl-Antragszahlen niedrig. Das gibt der Asylbehörde die Möglichkeit, den Rückstand von Asylanträgen aus den letzten Jahren aufzuarbeiten. Dazu sollte man wissen: Die Aufarbeitung des Rückstandes ist ein vorübergehendes Phänomen, das voraussichtlich bis in den Herbst 2024 erledigt ist. Dann werden auch die Familienzusammenführungen wieder abnehmen.

Bekommt eine Person Asyl, kann diese innerhalb von drei Monaten einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen.

Wichtig ist aber auch zu sagen: Familien kommen derzeit fast ausschließlich über diesen Weg nach Österreich. Kaum jemand kommt derzeit über die „grüne Grenze“. In Summe sollte der Anstieg also bewältigbar sein.

Was würde eine Residenzpflicht lösen?

Eine Residenzpflicht würde vermutlich recht wenig lösen. Wer in einem Bundesland aufgrund der schlechten Versorgungslage und fehlender Integrationsangebote nicht bleiben kann, wird vermutlich immer versuchen, sein Glück in der Großstadt finden und zu Freunden und Bekannten ziehen. Auch ohne Zugang zu Sozialhilfe oder Mindestsicherung.

Das rechtliche Argument: die Residenzpflicht würde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen

Und dann ist da auch noch das rechtliche Argument: Eine Residenzpflicht würde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen und vor dem Verfassungsgerichtshof vermutlich nicht halten.

Anerkannte Flüchtlinge haben das Recht, genau wie österreichische Staatsbürger:innen, sich frei im Land zu bewegen und niederzulassen. Die Residenzpflicht müsste also auch für Staatsbürger:innen eingeführt werden. Und das leuchtet jedem ein: Das geht nicht.

Deutschland ist mit der Einführung einer Residenzpflicht bereits 2016 vor dem Europäischen Gerichtshof weitgehend gescheitert: Der EUGH hat befunden, dass eine Residenzpflicht nur dann möglich wäre, wenn es an einem Ort besonders gute Integrationsangebote gäbe. Dann könne man Flüchtlinge verpflichten, diese auch in Anspruch zu nehmen.

Zurück nach Österreich:  Wenn es „am Land“ ausreichend Integrationsangebote gibt, und leistbaren Wohnraum in den kleinen Städten in allen Bundesländern, dann braucht es keine Residenzpflicht, weil die Flüchtlinge dann gerne an diesen Orten bleiben werden.

Autor:innen

Mag. Christoph Riedl
Grundlagen & Advocacy
Sozialexperte Migration, Asyl, Integration, Menschenrechte