Menschenrechte gelten für alle – auch für Straftäter:innen

  • Analyse
15. September 2025
Strafe ja, Rache nein: Was ein liberaler demokratischer Rechtsstaat niemals tun darf

„Wer eine Straftat begeht, muss abgeschoben werden.“ Diesen Satz hört man derzeit immer wieder. So verständlich dieser Reflex ist – aber so einfach ist es nicht.  Einfach ist eines: Straftäter:innen müssen vor Gericht, und das Gericht wird im Falle eines Schuldspruches eine Strafe verhängen. Wenn die Strafe abgebüßt ist, ist die Sache erledigt.  

Bei Abschiebungen geht es um etwas anderes:  Wenn es keine Gründe gibt, dass eine Person Schutz bekommen muss, und wenn die Person in ihrem Herkunftsland keine Gefahr für Leib und Leben droht, dann - und nur dann - ist eine Abschiebung oder “Rückführung” zulässig. 

Dem Abschiebe-Reflex im Zusammenhang mit Straftätern darf sich eine dem liberalen demokratischen Rechtsstaat und der Verfassung verpflichtete Politik nicht hingeben. Die hinter diesen Themen stehenden Grundsätze führe ich hier aus: 

1.Menschenrechte gelten für alle Menschen 

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) schützt jedes Leben und verbietet Folter oder unmenschliche Behandlung – ohne Ausnahme. Das heißt: Selbst, wenn jemand eine Straftat begangen hat, darf er oder sie nicht in ein Land abgeschoben werden, in dem Folter oder die Todesstrafe droht. Wenn Österreich dennoch Menschen abschiebt, die im Herkunftsland verfolgt, gefoltert oder hingerichtet werden, macht es sich mitschuldig an diesen Menschenrechtsverletzungen. Das ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch völkerrechtlich verboten.

2. Strafe muss sichergestellt sein

Wenn Österreich eine Person, die eine schwere Straftat begangen hat, aus diesen menschenrechtlichen Gründen nicht abschieben darf, oder auch weil dort kein faires Verfahren oder kein menschenrechtskonformer Strafvollzug gesichert ist, dann sind die österreichischen Behörden per Gesetz selbst zur Strafverfolgung verpflichtet.

Das macht auch Sinn, weil weder wir noch die Bewohner:innen anderer Länder wollen, dass schwere Straftaten ohne Konsequenz bleiben.

3. Rechtsstaat heißt, es herrschen Gesetze. Sowohl Doppelbestrafung als auch Rache sind verboten 

Eine Abschiebung aus einem Rachegedanken heraus, noch dazu für eine Straftat, die bereits verbüßt ist, wäre eine „zweite Strafe“ und würde gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 4, 7. Zusatzprotokoll EMRK) verstoßen.

4. Der Schutz der körperlichen Integrität ist ein Menschenrecht

Artikel 2 und 3 der europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK) verpflichten den Staat, das Recht auf Leben und die körperliche Unversehrtheit aller Menschen unter seiner Hoheitsgewalt zu wahren. - Das gilt selbst dann, wenn jemand ein Straftäter oder eine Straftäterin ist.

Bei Abschiebungen von Straftätern wird immer mit der Sicherheit der Allgemeinheit argumentiert. Sicherheit der Allgemeinheit ist wichtig – aber sie darf nicht zu unmenschlicher Behandlung oder dem Tod von Menschen führen. Hier ist und bleibt die rote Linie.

Wie kann ein Rechtsstaat also handeln? 

Rechtsstaatlichkeit erlaubt es, mit der vollen Härte des Gesetzes gegen Straftäter:innen vorzugehen. Also sie hier vor Gericht zu stellen, und zu verurteilen. Nach verbüßter Strafe darf eine Person aber nur dann abgeschoben werden, wenn sichergestellt ist, dass die betreffende Person im Zielland nicht unmenschlich behandelt, gefoltert, getötet oder rechtswidrig bestraft wird.

Im Fall einer 2025 bereits erfolgten Abschiebung aus Österreich nach Syrien haben die österreichischen Behörden diese Frage nicht ausreichend geprüft. Die Person ist bei Ankunft in Syrien “verschwunden”, niemand weiß über ihren Verbleib.

Diesen Fehler hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, und daher wurde nun eine neuerliche Abschiebung nach Syrien vorläufig gestoppt.

Wir müssen auseinanderhalten: 1. Die Ahndung von Verbrechen fällt unter das Strafrecht, und Straftaten müssen mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verfolgt und entsprechende Strafen verhängt werden.  2. Abschiebungen sind keine Strafe und dürfen Menschenleben nicht gefährden.

Autor:innen

Mag. Christoph Riedl
Grundlagen & Advocacy
Sozialexperte Migration, Asyl, Integration, Menschenrechte