1 Jahr Hilfsbereitschaft: Im Gespräch

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21. Februar 2023
Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine hat das Diakoniewerk an mehreren Standorten Quartiere für die Unterbringung von ukrainischen Vertriebenen vorbereitet. Neben der Unterbringung und Versorgung werden für die Menschen aus der Ukraine Dolmetschdienste, Sprachtrainings sowie psychosoziale Dienste organisiert. Lothar Jochade ist Leiter des Bereichs Flucht und Integration und seit 2021 beim Diakoniewerk tätig. Er erzählt, wie er den Beginn des Krieges erlebt hat und wie es den Menschen aus der Ukraine, die er und sein Team begleiten, aktuell in Österreich geht.

Wie hast du den Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine erlebt?

Da ist es mir nicht anders gegangen als vielen anderen: Fassungslosigkeit und absolutes Entsetzen, das so etwas möglich ist in Europa. An die Folgen, was das für unsere Arbeit im Diakoniewerk heißt, habe ich zunächst noch gar nicht gedacht.

Was ist seither in dem Bereich Flucht und Integration passiert?

Wir wurden am Beginn regelrecht mit Anfragen „überschwemmt“. Einerseits von Leuten, die Menschen aus der Ukraine persönlich kennen und sie nach Österreich holen wollten und ein Quartier gesucht haben. Andererseits auch von Personen, die eine Wohnung oder ein Zimmer angeboten haben. Wir haben zunächst eine Wohnung und ein Privathaus in Gallneukirchen für ukrainische Familien nutzen können. Seit zwei Monaten betreuen wir rund 30 Ukrainer:innen in zwei großen Wohnungen in Linz.

Sehr wichtig für die ankommenden Ukrainer:innen waren die Vernetzungstreffen, die wir im Raum Gallneukirchen organisiert haben. Das wurde intensiv genutzt, wichtige Fragen wurden beantwortet und die geflüchteten Menschen konnten sich austauschen. Für Abwechslung sorgten bei diesen Treffen auch Bohdan Hanushevsky, selbst Gallneukirchner mit ukrainischen Wurzeln, und seine Frau Ewa. Die beiden spielten ukrainische Lieder, das war schon sehr bewegend.

Was ist der Unterschied zu bisherigen Flüchtlingskrisen?

Neu für mich ist, dass viele ältere Menschen von uns betreut werden. In Linz ist der älteste Bewohner 84 Jahre alt. Die gesundheitliche Versorgung spielt hier eine große Rolle und wir benötigen viel Zeit z.B. für das Übersetzen bei Arztterminen. Die Rahmenbedingungen für die vertriebene Ukrainer:innen sind andere wie für Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan. Ukrainer:innen haben einen leichteren Zugang zu Deutschkursen und zum Arbeitsmarkt.

Wie geht es den Ukrainer:innen in Österreich?

Fast alle sagen, dass sie auf jeden Fall wieder zurückgehen wollen. Doch viele wissen auch, dass das nicht möglich sein wird. Gerade die aus dem Osten, aus Saporischschje, aus dem Donbass. Die Ukrainer:innen die hier sind, telefonieren oder schreiben mit ihren zurückgebliebenen Ehemännern, Familienmitgliedern oder Freund:innen. Das ist natürlich oft schwierig auszuhalten. Ich wundere mich manchmal, wie gefasst sie trotzdem sind.

Hilfreich ist, dass die Ukrainer:innen sehr bildungsaffin sind. Die Kinder gehen hier in die Schule und haben am Nachmittag über das Internet Unterricht in einer ukrainischen Schule. Viele sind gut ausgebildet und wenn sie ausreichend Deutsch können, haben sie gute Chancen am Arbeitsmarkt. Wobei die Sprache manchmal kein Kriterium ist. Ein Ukrainer, der Bäcker gelernt hat, arbeitet hier bereits in einer großen Bäckerei, trotz mangelnder Sprachkenntnisse schmeckt sein Brot genauso gut.

Wo liegen die Herausforderungen?

Aktuell ist es leider so, dass vermehrt private Quartiergeber ihr Angebot beenden. Dabei spielt die Teuerung eine große Rolle und mit fremden Menschen in einem Haus zusammenzuwohnen ist auch nicht immer einfach. Zunehmend erhalten wir Anfragen von Leuten, die aus ihren bisherigen Wohnungen raus müssen und nicht wissen wohin. Unsere Möglichkeiten sind leider auch begrenzt, es gibt zu wenig Quartiere. Wir sind deshalb immer wieder auf der Suche nach leerstehenden Häusern, Wohnungen oder erschlossenen Grundstücken.