Diakonie: Deutsches Urteil zu 24h-Betreuung stößt notwendige Diskussion an

  • Pressemitteilung
01. Juli 2021
Urteil legt Finger in Wunden

Das wegweisende Urteil des deutschen Bundesarbeitsgerichts, demzufolge ausländischen 24h-Betreuerinnen der deutsche Mindestlohn und arbeitsrechtliche Absicherung zusteht, legt den Finger auch in die Wunden des österreichischen Pflegesystems, kommentiert Diakonie Direktorin Maria Katharina Moser. In Österreich sei es hauptsächlich der Status als Selbständige, der immer wieder zu prekären Arbeitsverhältnissen und Ausbeutungssituationen in der 24h-Betreuung führe. "Wir teilen die Kritik der Interessensgemeinschaft der 24h-BetreuerInnen IG24, dass es sich nur allzu oft um Scheinselbständigkeit handelt." 

Moser ortet ein grundlegendes strukturelles Problem hinter dem Modell der 24h-Betreuung, das im Zuge der Pflegereform dringend angegangen werden müsse: "Das österreichische System ist stark auf medizinische und körperliche Pflege ausgerichtet. Angebote der Alltagsbegleitung und Betreuung gibt es zu wenige, und wenn es sie gibt, sind sie oft nicht leistbar. Menschen mit Pflegebedarf können sich zudem entweder zwischen mobilen Diensten oder Pflegeheim entscheiden. Das trifft aber oft die Bedarfe nicht. Wenn ich z.B. sechs Stunden Betreuung unter Tags für einen Angehörigen mit Demenz brauche, damit ich arbeiten gehen kann, hilft es nicht, wenn ein mobiler Dienst eine halbe Stunde in der Früh und am Abend zur Körperpflege kommt. Es bleibt, wenn man nicht ins Heim will und es sich leisten kann, die 24h-Betreuung."

Was fehlt, sind etwa mehrstündige Tagesbegleitung, Tageszentren, Besuchsdienste und Vermittlungsplattformen oder Betreuung nur in der Nacht. Der Auf- und Ausbau dieser Angebote müsse im Zentrum der Pflegereform stehen, so Moser.

SING - Reformmodell für bedarfsgerechte Pflege

Mit „SING – Seniorenarbeit innovativ gestalten" hat die Diakonie ein Modell in die Pflegereform eingebracht, das sich genau dieser Herausforderung annimmt. SING verbindet den Ausbau von bedarfsgerechten Dienstleistungen mit einer neuen Finanzierungslogik. Das Besondere am Konzept SING ist, dass Pflegegeldbezieher:innen einen Teil ihres Pflegegeldes in einen höheren sachleistungsbezogenen „Autonomiebeitrag" umwandeln und damit Dienstleistungen beziehen können, die ihnen ermöglichen, weiterhin zu Hause zu leben. „Derzeit bestimmt das Angebot die Pflege. Bei SING bestimmen die Menschen mit Pflegebedarf das Angebot", erklärt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Unterstützt werden sie dabei von sogenannten Pflegelots:innen. Diese überlegen gemeinsam mit den Betroffenen, wie sie leben wollen, welche Unterstützung sie dafür brauchen und welche Dienstleistungen es gibt. Gibt es keine passenden Angebote, leiten die Pflegelots:innen die Bedarfe an Sozialorganisationen weiter, die gefordert sind, passende Angebote zu entwickeln.

„Jetzt geht es darum, nicht an einzelnen Baustellen das eine oder andere zu sanieren, sondern eine vernünftige Gesamtarchitektur für die Pflegereform zu erarbeiten", fordert die Diakonie-Direktorin. Die Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen – Personal, bedarfsgerechte Angebote, Unterstützung pflegender Angehöriger und Finanzierung – „müssen sinnvoll ineinandergreifen", so Moser abschließend.

Ihre Ansprechperson zu dieser Pressemitteilung

Dr.in Roberta Rastl-Kircher
Pressesprecherin & Medienarbeit