Weltflüchtlingstag: Integration durch Deutsch – ja, aber richtig.

  • Pressemitteilung
16. Juni 2025
Migrationsexpertin Kohlenberger und Diakonie-Direktorin Moser präsentieren Lösungsansätze

Die deutsche Sprache ist ein wichtiger Schlüssel für Integration. Unter dem Motto "Integration durch Deutsch - ja, aber richtig" kritisieren Diakonie und Migrationsexpertin Judith Kohlenberger Defizite im aktuellen System und zeigen Lösungsmöglichkeiten für Bildungs-, Integrations- und Arbeitsmarktpoltik auf.

Sprache ist der Schlüssel zur Integration

Judith Kohlenberger, Migrationsexpertin: „Sprache ist der Schlüssel zur Integration - das sehen auch viele Geflüchtete so, wie unsere Studie zeigen. Das Deutschlernen ist aber für viele von ihnen, vor allem die Erwachsenen, sehr herausfordernd, weil es an Systemwissen, Basisbildung und psychischer wie auch sozialer Stabilität fehlt. Jene, die Kurse nicht bestehen oder abbrechen, noch zusätzlich zu bestrafen, wird aber kaum zu besserer oder schnellerer Integration beitragen. Zielführender sind Anreize und Abbau von Barrieren, ein Fördern und Fordern in guter Balance."

Ein genauer Blick auf die Deutschkurse in der Praxis

Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich: "Ja, wir haben Probleme in Sachen Integration und deutsche Sprache – sowohl im Bildungsbereich als auch am Arbeitsmarkt. Und es ist hoch an der Zeit, dass die Politik diese Probleme löst. Aktuell kann man den Eindruck haben, die Politik lebt vom Problem und hat wenig Interesse an echten Lösungen. Ein genauerer Blick auf die Deutschkurse in der Praxis zeigt, dass das Angebot völlig unzureichend ist: 240 Unterrichtseinheiten werden auf 180 pro Kurs gekürzt, es muss aber das gleiche Ziel erreicht werden. Die Unterrichtsqualität ist mangelhaft. Teilnehmende berichten, dass sie in einem Kurs 3-4 verschiedene Lehrkräfte haben, es wird zu wenig Wert auf aktives Sprechen gelegt. Wenn man überhaupt einen Kurs bekommt. In vielen Regionen, besonders im ländlichen Raum fehlen Kursmöglichkeiten auf dem jeweils benötigten Sprachniveau. Zwischen Kursen gibt es oft lange Wartezeiten, erworbenes Sprachwissen geht wieder verloren. Dazu kommen praktische Probleme wie lange Anreisen, nicht leistbare Fahrtkosten, keine Kinderbetreuung, fehlende Informationen über passende Kurse, Kursstarts oder Einstufungstests". 

Im Schulbereich muss das Konzept der Deutschförderklassen als gescheitert betrachtet werden

Moser zu Deutschlernen in der Schule weiter: "Im Schulbereich muss das Konzept der Deutschförderklassen als gescheitert betrachtet werden: Die, die weniger Deutschkenntnisse haben, sollen miteinander lernen. Das heißt aber, dass ihnen Sprachvorbilder fehlen. Und: Der Spracherwerb erfolgt nicht im Zusammenhang mit Wissenserwerb, die Kinder entwickeln Lernrückstände in anderen Fächern. Am schwersten wiegt, dass die sprachlichen Fähigkeiten mehrsprachiger Schüler:innen systematisch unterschätzt werden, weil nicht-deutsche Sprachkompetenzen als nicht bildungsrelevant gesehen und „Defizite“ im Deutschen negativ bewertet werden. So wird Kindern die Freude am Spracherwerb genommen."

Maria Köck, Pädagogin, Diakonie-Expertin für Inklusion und Integration in den frühen Lernjahren in Kindergarten und Volksschule: "Damit Kinder gut Deutsch lernen, hilft am besten frühe Unterstützung in Form von mehr(sprachig) geschultem Personal und kleineren Gruppen in Kindergärten und Schulen. Das verhindert später auch Kosten durch fehlende Basiskompetenzen und mangelhafte Bildungsabschlüsse. Sprachelernen geschieht über Beziehung, Sprachvorbilder und praktische Übung. Es braucht Ermutigung und spielerische Erfahrungen. Es geht um praktisches und lebensnahes Lernen und Üben. Sanktionen und Strafen werden bei Kindern immer mit Unverständnis und Abwehr verbunden sein. Strafende Pädagogik gehört für jede Altersgruppe in die Mottenkiste“.

Forderungen der Diakonie zum Thema Deutsch-lernen:

  1. Qualitäts- und Effektivitätsoffensive bei Deutschkursen: Rascher, flächendeckender Zugang zu Deutschkursen auf passendem Niveau und in guter Qualität mit ausreichend Zeit und stabilen Lehrpersonen. "Rasch" bedeutet ab dem 1. Tag in Österreich und Anschlusskurse sofort nach Abschluss eines Sprachniveaus.
  2. Verschränkung von Spracherwerb und Arbeitsmarktintegration durch Deutschkurse mit fachspezifischen Inhalten und Vokabular in Mangelberufen wie z.B. Pflege.
  3. Ende des isolierten Unterrichts in Deutschförderklassen, integrierter Unterricht und Förderung von Mehrsprachigkeit:  Zahlreiche Studien haben belegt, dass Kinder mit einer soliden muttersprachlichen Basis schneller und nachhaltiger Deutsch lernen. Eine pauschale Gleichsetzung von "nichtdeutscher Muttersprache" mit mangelnder Deutschkompetenz verkennt diesen Zusammenhang grundlegend und führt zu fehlerhaften pädagogischen Entscheidungen.
  4. Sofortige Umsetzung des Chancenindex für benachteiligte Schulstandorte: Mit einem Sozialindex werden unter anderem Bildungsstand, Beruf und Einkommen der Eltern sowie Alltagssprache der Schüler:innen erfasst. Je nach Ergebnis würde eine Schule um einen bestimmten Prozentsatz x mehr an Ressourcen bekommen, die eingesetzt werden können zB für Lern- und Förderangebote am Nachmittag, kleinere Gruppengrößen, thematische und methodische Schwerpunkte (z.B. Deutsch lernen durch Theater-Spielen) und  multiprofessionellen Teams mit Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, u.ä.
  5. Elternarbeit und Bildungspartnerschaften an allen Volksschulen in Österreich.

Ihre Ansprechperson zu dieser Pressemitteilung

Dr.in Roberta Rastl-Kircher
Pressesprecherin & Medienarbeit