Sie ist nicht anders – sie ist meine Freundin

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02. September 2025
Der integrativ-heilpädagogische Kindergarten Mühle der Diakonie in Gallneukirchen ist ein Ort, an dem Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern gefeiert wird. Kinder mit und ohne Behinderungen spielen, lernen und entdecken gemeinsam. Begleitet von einem Team, das Vielfalt als Chance begreift und Lernräume für alle Kinder schafft.

„Am besten ist Uno spielen mit Johanna. Und wenn wir dann gemeinsam gegen die Erwachsenen gewinnen, ist das richtig supa!“, erzählt Anja (fast fünf Jahre alt) stolz. Ihre beste Freundin Johanna lebt mit einer körperlichen Behinderung – doch das spielt für die beiden Freundinnen keine Rolle. Gemeinsam lachen, schaukeln, Karten spielen – was nach Spiel und Spaß klingt, hat eine tiefere Wirkung: Für Johanna ist dieser Kontakt ein Türöffner zur Gemeinschaft. Durch Anja findet sie Vertrauen, Mut und Anschluss. Heute schaukelt sie nicht nur mit ihrer besten Freundin, sondern auch mit anderen Kindern. Sie hat erlebt, dass Zugehörigkeit keine Frage der körperlichen Möglichkeiten ist. „Sie ist nicht anders – sie ist meine Freundin“, sagt Anja: Mehr braucht es nicht, um Inklusion zu erklären.

Ein Ort, an dem Vielfalt wachsen darf

Die großzügigen, barrierefreien Räume, der Naturgarten, das Bällebad, die Sinneswand oder die Therapieschaukel schaffen eine Umgebung, die zur Teilhabe einlädt. Ein Schwerpunkt liegt auf der Wahrnehmungsförderung: essenziell für alle Kinder, unabhängig von individuellen Fähigkeiten.
„Was für ein Kind mit Behinderung therapeutisch notwendig ist, unterstützt auch alle anderen in ihrer Entwicklung“, sagt Kindergartenleiterin Daniela Weberndorfer.
Doch was wirklich zählt, ist das Miteinander: Kinder helfen einander beim Anziehen, nehmen Rücksicht beim Spielen, entdecken Unterschiede nicht als Barriere, sondern als Inspiration. Auch Olivia profitiert von der Gemeinschaft. Die ruhige, zurückhaltende Zweijährige strahlt, wenn sie von einem anderen Kind zum Händewaschen begleitet und danach fürs Rasten liebevoll zugedeckt wird. Besonders Anja übernimmt diese Aufgabe oft mit erstaunlicher Achtsamkeit und Hingabe. Sie erkennt, wann Olivia Hilfe braucht und wann sie Dinge selbst machen möchte. Nicht, weil jemand ihr das sagt, sondern weil sie gelernt hat: Jeder Mensch hat Bedürfnisse. Und jeder kann einen Beitrag leisten. 

„Was für ein Kind mit Behinderung therapeutisch notwendig ist, unterstützt auch alle anderen in ihrer Entwicklung."

Daniela Weberndorfer, Leiterin des Kindergartens Mühle
Alltagsmomente, die prägen

„Jedes Kind ist einzigartig und bringt seine Stärken mit“, sagt Leiterin Daniela Weberndorfer. „Unsere Aufgabe ist es, diese Stärken zu fördern. Denn wer Stärken stärkt, schwächt Schwächen. Ein Kind, das motorisch eingeschränkt ist, kann musikalisch oder sprachlich besonders talentiert sein. Das inspiriert andere Kinder und motiviert sie, Neues auszuprobieren."
Im Kindergarten Mühle ist „Einzigartig-sein“ kein Hindernis, sondern eine Bereicherung. „Wir feiern Verschiedenheit“, erzählt Weberndorfer. Und es sind die kleinen Situationen, die die größte Wirkung entfalten: „Ein Kind mit körperlicher Beeinträchtigung nahm kaum an Bewegungsspielen teil. Eines Tages schlug ein anderes Kind vor, das Spiel so zu verändern, dass alle mitmachen konnten – ohne, dass ein Erwachsener eingreifen musste. Das war ein Schlüsselmoment für mich“ erklärt eine Pädagogin aus dem Team.

Voneinander lernen: auf Augenhöhe

„Voneinander lernen“ bedeutet im Kindergarten Mühle:

  • Unterschiedliche Ausdrucksformen zu akzeptieren
  • Verantwortung füreinander zu übernehmen
  • Lösungen gemeinsam zu finden
  • Vielfalt nicht als „anders“, sondern als Bereicherung zu erleben

„Kinder wachsen hier über sich hinaus – in ihrer Sprache, in ihren sozialen Kompetenzen und im emotionalen Erleben“, so das Team.

Eine Frage der Haltung – nicht des Konzepts

„Inklusive Pädagogik braucht mehr als Methoden – sie braucht Grundprinzipien wie Wertschätzung, Flexibilität und Offenheit“ betont  Sonderkindergartenpädagogin– Bettina Haberfellner.  Auch Eltern wie die von Anja spüren das: „Für Anja sind Menschen mit Behinderungen selbstverständlich Teil des Alltags – so wie es überall in der Gesellschaft sein sollte." 

Kindergartenleiterin Daniela Weberndorfer sieht ihre Aufgabe darin, einen Rahmen für Qualität und Entwicklung zu schaffen: „Wir reflektieren regelmäßig, bilden uns weiter und tauschen uns aus. Gerade Themen wie Autismus erfordern Fachwissen und individuelle Lösungen.“
 

„Für Anja sind Menschen mit Behinderungen selbstverständlich Teil des Alltags – so wie es überall in der Gesellschaft sein sollte.“

Eltern von Kindergartenkind Anja
Eltern als Partner:innen

Die Zusammenarbeit mit den Familien ist ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts. „Viele Eltern sind berührt, dass ihr Kind bei uns eine ganz normale
Kindergartenzeit erleben darf“, sagt Weberndorfer. „Diese Wertschätzung motiviert uns enorm.“

„Wir hoffen, dass Anja erkennt, wie wichtig eine inklusive Gesellschaft für uns alle ist – und dass eine Behinderung niemals den Wert eines Menschenlebens mindert.“

Fazit: Inklusion beginnt im Kleinen – und wirkt ein Leben lang

Der Kindergarten Mühle zeigt, dass Inklusion gelingt, wenn sie als Haltung verstanden wird. Wenn Kinder von Anfang an erleben, dass Unterschiede kein Hindernis sind. Wenn ein Ort entsteht, an dem sie sich einbringen, Verantwortung übernehmen und einander stärken. Ein Ort, an dem Freundschaften entstehen, die weit über die Kindergartenzeit hinaus wirken. Ein Ort, an dem Vielfalt nicht nur möglich, sondern erwünscht ist. Getragen von Geborgenheit, Vertrauen und Wertschätzung. 

Drei Kinder mit und ohne Behinderungen lachen in die Kamera. Sie sitzen auf Tischen und halten Übungsblätter hoch.
© Nadja Meister

Inklusive Bildung!

Die Schule ist wie unsere Gesellschaft. Nur in „klein“ 😉. Menschen sind unterschiedlich. Kinder sind unterschiedlich. Jeder Mensch hat Stärken, jeder Mensch kann und will etwas beitragen. Wenn Kinder miteinander lernen, lernen sie voneinander, und alle profitieren.

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