Sozialhilfe: Das letzte soziale Netz muss halten

  • Analyse
25. September 2025
Es bleibt unklar, was die Regierung jetzt damit vorhat

Die Sozialhilfe kommt den ärmsten zwei Prozent der Bevölkerung zugute, macht aber nur 0,4 Prozent des Staatsbudgets aus. Mit der Sozialhilfe das Budget sanieren zu wollen, ist unsachlich und unseriös. Das hält aber manche Politiker:innen und Medien nicht davon ab, das Gegenteil zu behaupten.

Da sind die Maßstäbe in der öffentlichen Debatte völlig entgleist: Die Sozialhilfe ist auch nicht leicht zu bekommen. Für viele sind die Barrieren sehr hoch, um an die notwendige Hilfe zu gelangen. 30 Prozent bekommen nicht, was ihnen helfen würde. Diese „Non-Take-Up“-Quote ist am Land noch wesentlich höher als in den Städten.

Hilfe ist dann gut, wenn sie die Menschen auch erreicht

Ein Leistungsmerkmal sozialer Schutzsysteme ist, ob dessen Hilfe die Menschen erreicht, die es erreichen will. Erreicht es sie nicht, weist uns das auf Fehler und Lücken hin. Und das hat Folgen, weil es die erfolgreiche Bekämpfung von Notlagen verhindert, weil es zu höheren Kosten führt, wenn Gesundheitsprobleme bedrohlich, Chancen für Kinder eingeschränkt werden oder Obdachlosigkeit droht.

Zehntausende Menschen in Österreich erhalten offensichtlich nicht, was ihnen zusteht und helfen würde. Die Gründe: soziale Scham, Angst vor Stigmatisierung, bürokratische Hürden, schlechtes Gesetz, willkürlicher und bürgerunfreundlicher Vollzug. Wäre die Inanspruchnahme „vollständig“, würde die Armutsgefährdung in Österreich um fast ein Prozent sinken, das hieße 60.000 Menschen weniger in Armut.

Was den Unterschied macht – was die Inanspruchnahme erhöht:  Rechtssicherheit, Verfahrensqualität, Anonymität, guter Vollzug, Verständlichkeit, Information und De-Stigmatisierung der Leistung. Die Einführung der Mindestsicherung 2010 hat übrigens dazu geführt, dass mehr Menschen, die sie dringend brauchen, sie auch in Anspruch genommen haben. So haben 2009 114.000 Haushalte (51 Prozent) trotz Berechtigung Sozialhilfe nicht in Anspruch genommen. Mit Einführung der Mindestsicherung sank dieser Wert bis 2015 auf 73.000 Haushalte (30 Prozent). UND: Mit der Abschaffung der Mindestsicherung und Einführung der sogenannten Sozialhilfe ist das alles wieder schlechter geworden.

Eine gute Mindestsicherung, die ja in Wahrheit das letzte soziale Netz darstellt, muss Existenz, Chancen und Teilhabe sichern – und sie muss die Würde der Betroffenen wahren. Das ist etwas, das mittlerweile nicht mehr selbstverständlich ist.

Wer das Regierungsprogramm liest, bleibt ratlos zurück

Aus dem aktuellen Regierungsprogramm wird man nicht ganz schlau. Die Schlagworte im Papier sind verwirrend und unklar:

  • Sollen die erwerbsfähigen Familien noch weniger bekommen, indem sie auf die viel niedrigeren Familienzuschläge im Arbeitslosengeld (0,97 Euro am Tag) verwiesen werden?
  • Wird zusätzlich noch die Familienbeihilfe für sie gestrichen?
  • Sind das Mindestsätze oder Höchstsätze, die österreichweit für alle vereinheitlicht werden?

Im einen Kapitel des Regierungsprogramms steht, dass die Kinderarmut halbiert und eine Kindergrundsicherung eingeführt werden soll. Während das Nachbarkapitel Kindern in der Sozialhilfe die Existenz nimmt.

Klar ist: Sozialhilfereform und Kindergrundsicherung müssen gemeinsam konzipiert und aufeinander bezogen werden, sonst haben wir nachher mehr Kinderarmut – nicht weniger.

Autor:innen

Mag. Martin Schenk
Direktion & Geschäftsführung
Grundlagen & Advocacy
Stv. Direktor | Sozialexperte Armut, Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe