„Hallo Bäcker! Ich möchte bitte ein Mohnflesserl“

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30. November 2022
Hannah Lauss spricht mittels Sprachcomputer. Heute geht sie zum Bäcker, um Jause für sich und ihre Schwester zu kaufen.

Samstag Vormittag in einer Bäckerei in Neuhofen an der Krems in Oberösterreich: Hannah Lauss (15) betritt ihre Lieblingsbäckerei Kemetmüller. Mit dabei hat sie ihr iPad mit einer speziellen Kommunikationssoftware. Hannah spricht sozusagen „MetaTalk“, da sie sich nicht selbst lautsprachlich verständigen kann. Die App bietet Hannah Symbole an. Sie wählt die gewünschten Symbole aus, tippt drauf und das iPad spricht dieses dann für sie aus.

Bäckerin Sarah begrüßt Hannah und ihren Papa, Jürgen Lauss, freundlich und wartet geduldig, bis Hannah ihr iPad eingeschalten hat. Zu Hause hat sich Hannah schon mit ihrem Papa vorbereitet und überlegt, was sie heute für ein Frühstücksweckerl will. Heute möchte sie ein Mohnflesserl haben und ihre Schwester Ellen kriegt ein Käsestangerl. In ihrer Kommunikationssoftware hat Martina Lauss, Hannahs Mama, Fotos von den Brotköstlichkeiten aus dem Hause Kemetmüller hochgeladen, sodass Hannah auswählen kann.

Hannah navigiert zielsicher zu ihrer Software, sucht ihren Einkaufswunsch aus und die Kommunikationshilfe sagt mit freundlicher Stimme: „Hallo Bäcker! Ich möchte bitte ein Mohnflesserl und ein Käsestangerl für Ellen.“ Und schon hat Sarah die Bestellung für Hannah fertig eingepackt und übergibt die Bestellung an die strahlende Hannah.

Der Einkauf beim Bäcker ist ein wichtiges Ritual

„Der Samstag Vormittag gehört Hannah und ihrem Papa. Sie gehen gemeinsam zum Bäcker einkaufen. Sie ist enttäuscht, wenn wir es nicht schaffen, weil wir z. B. einen Ausflug machen oder wenn nur ich mitgehe“, erzählt Martina Lauss. Hannah geht am liebsten in die Bäckerei Kemetmüller, weil dort alle sehr freundlich zu ihr sind und geduldig warten, sodass sie nicht unter Druck gerät. Sie hat Zeit, um auf ihrem iPad das gewünschte Produkt auszuwählen. Außerdem hat Bäckereichef Christian am gleichen Tag Geburtstag wie sie und da gibt es immer ein kleines Geschenk für Hannah. „Es sind diese Kleinigkeiten, die zählen, das freundliche Lächeln, das geduldige Warten, das so wichtig ist für Hannah und sie motiviert, ihre Kommunikationshilfe auch bei anderen Gelegenheiten zu verwenden“, erzählt Martina Lauss.

Hannah bestellt auch selbst ihr Essen im Gasthaus und ist stolz, dass sie das schon alleine kann. „Es funktioniert überall dort, wo sich die Menschen Zeit nehmen für Hannah. Und es wird mit jedem Erfolg auch für Hannah leichter, die Geduld einzufordern“, unterstreicht ihre Mutter.

Wenn Hannahs Mutter Martina ihre Tochter mit liebevoller Stimme als „Hirschhörnchen“ beschreibt, meint sie damit, dass Hannah mit dem Wolf-Hirschhorn-Syndrom zur Welt kam. Das ist eine sehr seltene genetische Veränderung, die bei Hannah nicht vererbt wurde, sondern spontan auftrat. Bei diesem Syndrom „bricht“ ein Teil des 4. Chromosoms ab und verursacht unterschiedlichste gesundheitliche Probleme.

Betroffen ist auch Hannahs Sprachzentrum und sie verfügt über keine ausgeprägte Lautsprache. Aber das bedeutet nicht, dass Hannah nicht kommunizieren kann. Bereits mit 5 Jahren kam die heute 15-jährige Hannah mit ihrer Mama zu einer LIFEtool Beratung und machte erste Bekanntschaft mit einem iPad.

In den ersten Jahren benutzte Hannah ihre Kommunikationshilfe nur um zu spielen und das iPad „sprechen“ zu lassen. Das iPad unmittelbar zur Kommunikation einzusetzen, hat sie erst später gelernt.

Genau wie alle Kinder lernt Hannah ihre Art des Sprechens durch Nachahmung, durch zuhören, was ihnen ihre Sprechvorbilder vorsagen.

So macht ihre Mutter Hannah am iPad die Kommunikation vor und Hannah lernt das „Sprechen“ über das iPad.

Martina hat das sogenannte „Modelling“ in Workshops bei LIFEtool gelernt. Dort wird Hannah schon seit vielen Jahren in ihrer Kommunikationsentwicklung begleitet und gefördert.

Alle Infos zu Unterstützter Kommunikation finden Sie unter: www.lifetool.at

Eine junge Frau mit Sprachcomputer und eine Mitarbeiterin der Diakonie unterhalten sich.
© Lukas Plank

Recht auf Kommunikation

In Österreich gibt es rund 63.000 Personen mit Einschränkungen in der Lautsprache. Mithilfe von assistierenden Technologien können sie kommunizieren. Doch in Österreich gibt es bis heute weder einen Rechtsanspruch auf assistierende Technologien noch eine einheitliche Finanzierungshilfe auf unterstützte Kommunikation und assistierende Technologien.

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Ihre Ansprechperson zu dieser Story

Dr.in Roberta Rastl-Kircher
Pressesprecherin & Medienarbeit