Herr Alili. Ein Leben vor dem Tod

  • Kommentar
26. Januar 2022
Die schlechte „Sozialhilfe“ kann nicht einmal einen schwer kranken Mann vor der Verelendung bewahren

Seit das neue Sozialhilfegesetz in Kraft getreten ist, fallen Menschen aus jeglicher Existenzsicherung und werden in eine ausweglose Situation gedrängt

Seine Niere funktioniert nicht mehr ordentlich, er leidet an Diabetes, sein Augenlicht schwindet, das Bein macht Probleme, psychisch kommt er an den Rand. Er liegt im Landeskrankenhaus Amstetten. Wenn er entlassen wird, braucht er pflegerischen Beistand und Hilfe. Herr Alili hat beim Spar als Lagerarbeiter gearbeitet. So glücklich war er, diesen Job zu haben. Aber Herr Alili war auch krank. Als er in Österreich humanitäres Aufenthaltsrecht bekam, machten ihm schon seine Nieren zu schaffen. „Chronische Niereninsuffizienz und labile Hypertonie“ diagnostizieren die Mediziner. Die gesundheitlichen Probleme verschlimmern sich. Herr Alili arbeitet weiter, aber irgendwann geht es nicht mehr. Er verliert den Job, ist nicht mehr belastbar. Die Augenerkrankung und die Sehbeeinträchtigungen verschlechtern sich zunehmend. Er wird nach Wien ins AKH zur Augen-Operation überwiesen. Dort sagen sie ihm, dass er keine Krankenversicherung habe und sie deshalb nichts machen können. Die Regierung hat gerade die Mindestsicherung abgeschafft und unter dem Titel „Sozialhilfe“ die Existenzsicherung für alle gekürzt – und Menschen wie Herrn Alili ganz aus der „Sozialhilfe“ ausgeschlossen. Obwohl er hier lebt, wohnt und sich eine Zukunft aufbauen will. Das bedeutet auch, dass Herr Alili nicht mehr krankenversichert ist. Die Rezeptgebühren für Medikamente, die er braucht um zu überleben, machen über 100 Euro aus. Herr Alili hat kein Geld mehr.

Die Regierung hat gerade die Mindestsicherung abgeschafft und unter dem Titel „Sozialhilfe“ die Existenzsicherung für alle gekürzt – und Menschen wie Herrn Alili ganz aus der „Sozialhilfe“ ausgeschlossen. Obwohl er hier lebt, wohnt und sich eine Zukunft aufbauen will. Das bedeutet auch, dass Herr Alili nicht mehr krankenversichert ist.

Martin Schenk, Diakonie-Sozialexperte

Rückschritt in der Armutsbekämpfung in Österreich

Die Abschaffung der Mindestsicherung und das verabschiedete neue „Sozialhilfegesetz“ ist ein leidvoll erlebter Rückschritt in effektiver Armutsbekämpfung in Österreich. Statt in einer Krisensituation Schutz zu bieten, führt das Gesetz zu einer Ausbreitung der Not wie Beispiele aus Niederösterreich, aber auch Salzburg und Oberösterreich zeigen. Die negativen Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen, Wohnen, Frauen in Not, Gesundheit, Kinder und Familien sind massiv. Von der Verschlechterung durch die „Sozialhilfe“ sind beispielsweise Menschen in teilbetreuten Wohngemeinschaften, im Übergangswohnen sowie in psychosozialen Wohnheimen betroffen. Kinder sind von Kürzungen in ihrer Entwicklung eingeschränkt, Unterhaltsforderungen bei Menschen mit Behinderungen gelten jetzt österreichweit, die Wohnbeihilfe wird abgezogen, in Niederösterreich wird sogar hunderten die Krankenversicherung verwehrt.

Statt in einer Krisensituation Schutz zu bieten, führt das Gesetz zu einer Ausbreitung der Not.

Martin Schenk, Diakonie-Sozialexperte

Ein Nachbar sieht hin

Ein Nachbar in seinem Wohnhaus sieht die elende Lage des Mannes und kümmert sich um ihn. Herr Alili habe „gelebt ohne Hoffnung“, erzählt er. Zu essen hat er auch nichts mehr gehabt, gemeinsam sind sie zu Lebensmittelausgaben gegangen. Der Nachbar hat dann die Krankenversicherung für den mittlerweile schwer kranken Alili bezahlt. Das Nierenproblem wurde immer schlimmer, Niereninsuffizienz der Stufe 4-5, die Augenerkrankung beeinträchtigte das Sehen bereits massiv, seine Mobilität aufgrund einer Beinerkrankung war stark eingeschränkt, besonders verschlechterte sich sein psychischer Zustand mit Depressionen und Apathie.

Seit das neue Sozialhilfegesetz in Kraft getreten ist, fallen Menschen völlig aus jeglicher Existenzsicherung heraus und werden in eine ausweglose Situation gedrängt. Männer, Frauen und Kinder haben plötzlich nicht einmal mehr zu essen, können keine Miete zahlen und sind nicht mehr krankenversichert. Unter den Betroffenen finden sich auch viele schwerkranke und nicht arbeitsfähige Personen, die keine Möglichkeit haben, einer Arbeit nachzugehen und auch nicht von Verwandten oder Freunden mit unterstützt werden können. Die Familien verlieren ihre Wohnungen und haben kein Geld, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Engagierte Bürger:innen in den Wohngemeinden der betroffenen Familien unterstützen diese teilweise aus ihrer privaten Haushaltskasse. Diese gelebte Mitmenschlichkeit ist großartig, kann aber keine dauerhafte Lösung für diese unhaltbare Situation sein.

Seit das neue Sozialhilfegesetz in Kraft getreten ist, fallen Menschen völlig aus jeglicher Existenzsicherung heraus und werden in eine ausweglose Situation gedrängt. Männer, Frauen und Kinder haben plötzlich nicht einmal mehr zu essen, können keine Miete zahlen und sind nicht mehr krankenversichert.

Martin Schenk, Diakonie-Sozialexperte

„Die Ärzte haben mich angerufen, es wird nicht mehr lange dauern“

Herr Alili muss ins Krankenhaus Amstetten eingeliefert werden. Der Nachbar und der Hausmeister des Wohnhauses machen sich große Sorgen wie das sein wird, wenn Alili aus dem Spital entlassen wird. In seinem jetzigen Zustand kann er nicht mehr so wie früher in seiner Wohnung leben, er braucht Hilfe und Pflege. Wie soll die nötige Behandlung der Nierenerkrankung erfolgen, eventuell bald Dialyse-Patient, wie die psychischen Zustände abfangen, wie die Medikamentengabe kontrollieren? Wie den Wohnbedarf für einen schwer Kranken und Pflegebedürftigen abdecken? Der Nachbar ruft beim Land Niederösterreich an, keiner hört zu, er kontaktiert die Bezirksbehörden, keiner antwortet, die Patientenanwaltschaft schaltet sich ein, erreicht nichts, die Sozialarbeiterin des Krankenhauses versucht es, nichts passiert. Die Behörde stellt sich tot.
Der Nachbar arbeitet als Zeitungszusteller, hat wenig Einkommen, kommt selber gerade über die Runden, und kann helfen. Das Land aber kann mit der schlechten „Sozialhilfe“ nicht einmal einen schwer kranken Mann vor der Verelendung bewahren. „Herr Alili war krank als er kam, aber so richtig krank ist er erst hier geworden.“, sagt der Hausmeister. Im Krankenhaus hat er „gekämpft, gekämpft, gekämpft“, erzählt der Nachbar. Doch als Corona dazukommt, hat das sein Körper, hat das seine Niere nicht mehr ausgehalten. „Die Ärzte haben mich angerufen, es wird nicht mehr lange dauern“, sagt der Nachbar. „Ich bin ins Spital gefahren zu ihm.“ In der Früh des 7.Dezember war Herr Alili tot.

Ein Mitarbeiter im 's Häferl der Diakonie überreicht einem Gast draußen eine warme Suppe
Eine warme Mahlzeit für jeden. / © Lukas Plank

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Autor:innen

Mag. Martin Schenk
Direktion & Geschäftsführung
Grundlagen & Advocacy
Stv. Direktor | Sozialexperte Armut, Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe