Leben im Haus für Senioren der Diakonie: "Meine Mutter fühlt sich hier zuhause."

  • Story
25. September 2020
Ein Familieninterview über Leben mit Demenz, Wohnen im Alter und das Gefühl, "zuhause" zu sein.

Hermine (90) und Gottfried (90) Rottinger leben in einem Haus für Senioren der Diakonie. Das Ehepaar ist an Demenz erkrankt. Sie geben einander Sicherheit, können in einer Hausgemeinschaft ihren früheren Alltag weiterleben und werden dabei begleitet.

Gemeinsam mit Tochter Veronika (63) und Schwiegersohn Erwin (64) Spenlingwimmer erzählen sie von ihrem Alltag.

Herr und Frau Rottinger, wie geht es Ihnen?

Frau Rottinger: Gut! Schön ist, dass wir (Anm.: ihr Gatte und sie) jetzt wieder zusammen sein können.

Herr Rottinger: Wir helfen zusammen. Und wir haben viel Zeit füreinander. Manchmal bin ich unterwegs, in den Ort (Anm.: Bad Zell), aber am Abend komm ich wieder heim. Zu ihr! (Anm.: lacht seine Frau an)

Herr und Frau Spenlingwimmer, wie sind Sie zur Entscheidung gekommen, Ihre Eltern in einer Hausgemeinschaft im Haus für Senioren Bad Zell anzumelden?

Tochter, Veronika Spenlingwimmer: Meine Mutter hatte vor ca. zehn Jahren einen Schlaganfall, anschließend – nach dem Krankenhausaufenthalt - hat sie mein Vater zu Hause gepflegt. Der Gesundheitszustand verschlechterte sich dann zunehmend. Es wurde Demenz festgestellt. Wichtig war uns als Angehörige, dass sie in der Region, in der sie ihr Leben lang gelebt hat, bleiben und ihr soziales Netz weiterhin nutzen kann. Das Haus für Senioren in Bad Zell hat einen sehr guten Ruf, daher haben wir uns um einen Platz bemüht. Meine Mutter zog im Jänner 2020 in eine Hausgemeinschaft ein.

Schwiegersohn, Erwin Spenlingwimmer: Für meinen Schwiegervater, der seine Gattin lange zu Hause gepflegt hat, ist nach dem Einzug meiner Schwiegermutter ins Haus für Senioren eine wichtige Aufgabe weggefallen: er konnte sich nicht mehr um sie kümmern. Sie hat ihm sehr gefehlt. Dann kamen ab März mit der Corona-Situation Einschränkungen der Besuchsmöglichkeiten.

Ich erinnere mich an eine Situation, als sich meine Schwiegermutter vom Balkon des Hauses für Senioren aus mit Ihrem Mann unterhalten wollte, mein Schwiegervater hat im Garten unterhalb versucht, sie zu verstehen. Es war für beide sehr schwierig. Dann kam von ihm die berührende Aussage: "Ein paar Jahre möchten wir halt doch noch beisammen sein." Da habe ich die Gunst der Stunde genutzt und mit ihm über einen Einzug in eine Wohngemeinschaft gesprochen.

Tochter: Mein Vater konnte sich anfangs den Einzug ins Haus für Senioren nicht vorstellen. Er wollte seine vertraute Umgebung nicht verlassen. "Darf ich da noch hinaus?" oder ähnliche Fragen kamen häufig von ihm. Andererseits war es für ihn alleine zu Hause schwer. Es hat sich ausgezahlt, immer wieder mit meinem Vater darüber zu reden. Geduld ist an dieser Stelle wichtig! Für uns war es ein Balanceakt zwischen Fürsorge und Ermöglichung der Selbstbestimmung für unsere Eltern. Uns Kindern war es immer wichtig, dass die Entscheidung von unseren Eltern - und nicht von uns - getroffen wird. Es wurde dann aber gottseidank in der Hausgemeinschaft ein Platz frei.

Schwiegersohn: Ich glaube die Entscheidung für meinen Schwiegervater ist dann gefallen, als er gemerkt hat, er wird hier zu nichts gezwungen. Es gelingt diesem Haus, seinen Bewohner*innen das Gefühl zu geben, etwas tun zu können, aber nicht zu müssen. Die Selbstbestimmtheit ist ihm wichtig. Mein Schwiegervater hat nach wie vor den Schlüssel zu seinem Haus und kann dort jederzeit hingehen, es ist in Geh-Weite. Aber es hat nicht lange gedauert, da fühlte er sich hier eher heimisch als in seinem Haus. Da spielt sicher auch die Bezeichnung eine wichtige Rolle: es ist ein "Haus für Senioren", kein "Heim".

Tochter: Wir sind sehr froh, dass meinen Eltern das Zusammenleben hier in der Hausgemeinschaft sehr unkompliziert ermöglicht wird. Man merkt, dass sie hier miteinander glücklich sind. Und das Hausgemeinschaften-Modell ermöglicht meinen Eltern, sich aktiv am Alltag zu beteiligen. Die Tagesabläufe orientieren sich „am normalen Leben“ in den eigenen vier Wänden. Es wird gemeinsam gekocht, gemeinsam Gemüse geschnitten, abgewaschen, die Wäsche versorgt, Tisch gedeckt – also Alltagstätigkeiten, sie auch früher so erledigt haben. Das ist wichtig für ihre Selbstständigkeit, die vertrauten Tagesabläufe geben ihnen Sicherheit.

Wie hat Ihre Mutter, die an Demenz erkrankt ist, den Einzug Ihres Vaters empfunden?

Tochter: Ich erkenne eine Verbesserung ihrer kognitiven Fähigkeiten, die Demenz schreitet nicht mehr so stark voran, seit meine Eltern wieder zusammen wohnen.

Meine Mutter wurde hier wirklich von Anfang an gut betreut, trotzdem kam von ihr anfangs immer wieder der Wunsch, "nach Hause gehen" zu wollen. Sobald mein Vater zu ihr gezogen war, kam diese Aussage nicht ein einziges Mal mehr. Mit "zuhause" hat meine Mutter wohl nicht ihr Haus, sondern ihren Mann gemeint. Sie fühlt sich jetzt zu Hause, weil mein Vater bei ihr ist.

Wie geht es Ihnen als Angehörige in der Wohngemeinschaft?

Tochter: Wir haben immer das Gefühl willkommen zu sein. Es tut auch gut zu merken, dass wir manchmal gebraucht werden. Wir können uns einbringen, wenn wir es wollen. Die Corona-Situation war ja jetzt noch keine normale Situation, da bieten sich in Zukunft sicher noch viele Möglichkeiten. Das Team hilft uns außerdem dabei, dass das tägliche Telefonat zwischen meinen Eltern und uns immer stattfindet, das ist für uns sehr beruhigend.

Schwiegersohn: Ehrlichgesagt fühle ich mich bei Besuchen meiner Schwiegereltern hier im Haus für Senioren wohler als in ihrem Haus (lacht)! Hier kann ich mich ganz dem Besuch widmen, früher war doch immer sehr viel zu tun. Die "Arbeit" wird hier vom Team erledigt, für uns bleibt das Vergnügen. Im Unterschied beispielsweise zu einem Krankenhaus, wo Distanz zu den Mitarbeitern besteht, wird man hier als Angehöriger unkompliziert in die Gemeinschaft integriert. Menschen wie das Team hier sind ein Segen für unsere Eltern. Seit sie hier in der Hausgemeinschaft leben ist uns eine große Belastung abgenommen worden.

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