Lisa (5), chronisch krank: "Wie Diebe im Körper, die herumschießen"
- Story
Man sieht nichts. Lisa sieht aus wie ein ganz normales kleines Mädchen. Sie hat keine offensichtliche Behinderung oder Krankheit. Daher wird sie häufig als wehleidig abgestempelt. Aber sie ist nicht wehleidig, sie lebt mit einer sehr schmerzhaften chronischen Erkrankung.
Wenn kleine Unfälle große Schmerzen bedeuten
Als lebendiges Kind bezeichnet Frau M. ihre 5-jährige Tochter Lisa. "Das ist ein großes Glück, denn sonst würde sie wahrscheinlich nie wieder auf ein Fahrrad aufsteigen." Lisa lebt mit einer erblich bedingten Bindegewebserkrankung mit überdehnbarer Haut und überbeweglichen Gelenken, dem Ehlers-Danlos-Syndrom. Auch innere Organe können davon betroffen sein.
"Bei Lisa hat das zur Folge, dass sich jederzeit unerwartet die Kniescheibe ausrenken kann. Das passiert z. B. wenn sie mit dem Fahrrad stürzt. Die Kniescheibe sitzt dann nicht mehr mittig, sondern ist seitlich verschoben. Oft gleitet die ausgerenkte Kniescheibe fast von alleine wieder zurück in die Ausgangsposition. Aber das ist mit großen Schmerzen verbunden. Lisas Bauchschmerzen sind vermutlich bereits die Folge erster Senkungen."
Diebe im Körper
Ein anderes Kind würde vielleicht nie mehr auf ein Fahrrad steigen, um diesen Schmerz zu vermeiden. Aber Lisa probiert es immer wieder, weil sie einfach Freude an der Bewegung hat. Lisa ist ein kluges Mädchen, das bereits lesen und schreiben lernt und auch gern rechnet. Oft erzählt sie von "Dieben im Körper, die herumschießen." Dann weiß Frau M., wovon ihre Tochter spricht."Es sind diese stechenden Schmerzen, die sich niemand vorstellen kann."
Bei Frau M. hat selbst erst vor drei Jahren die Diagnose Ehlers-Danlos-Syndrom bekommen. Seitdem kann sie sich erklären, was mit ihren beiden Töchtern los ist und weiß, dass beide betroffen sind. Mit 50%iger Wahrscheinlichkeit wird die Erkrankung vererbt. "Jenny ist drei Jahre, bei ihr renkt sich häufig der Ellbogen aus. Jenny ist noch stärker betroffen, als Lisa. Sie muss selber mehr mithelfen, dass sich der Ellbogen wieder einrenkt. Außerdem braucht sie Schmerzmittel." Die Erkrankung ist unheilbar und degenerativ.
Tut Dir was weh?
Lisa wird seit Herbst 2020 im integrativ-heilpädagogischen Kindergarten des Diakonie Zentrums Spattstraße betreut. Kindergartenleiterin Claudia Narovnigg kennt die Sorgen und die Erkrankung: "Lisa ist ein sehr kluges Mädchen. Sie weiß mit ihren 5 Jahren schon sehr gut, worauf sie aufpassen muss. Dennoch ist es wichtig, sie daran zu erinnern, gerade zu gehen usw. Und trotz allem Aufpassen passiert es einfach immer wieder, dass sich in der Bewegung die Kniescheibe oder die Schulter auskegelt."
Lisa weiß schon, was sie tun muss, damit sich die Gelenke wieder selber einrenken. Es tut aber sehr weh. Lisa wird dann ganz ruhig und braucht einen Rückzugsort. "Dann ist es wichtig, da zu sein, acht zu geben, und nachzufragen: Was ist denn passiert? Tut Dir was weh? …"
In einem Regelkindergarten ist es kaum möglich, gut für chronisch kranke Kinder da zu sein. Und selbst in unseren Integrationsgruppen mit 15 Kindern und den heilpädagogischen Gruppen mit jeweils 8 Kindern "brauchen wir für chronisch kranke Kinder wie Lisa zusätzlichen Betreuungsstunden, wie dies für Kinder mit Behinderung selbstverständlich ist", so Narovnigg.
Ein guter Platz
"Ich bin dem Kindergartenteam sehr dankbar für den guten Platz, den sie Lisa bieten. Sie haben einen Kindergartenbus organisiert, weil ich morgens häufig Probleme mit dem Herz und dem Kreislauf habe, und es nicht schaffen würde, sie hinzubringen. Lisa hat ein eigenes Rollboard, das nur ihr zur Verfügung steht. Damit wird die Belastung auf die Gelenke reduziert und sie kann schmerzfrei am Boden spielen, was ihr bei der Integration in die Gruppe sehr hilft, weil Kinder einfach gerne am Boden spielen."
190.000 Kinder und Jugendliche leben mit chronischen Erkrankungen
"In Österreich leben mehr als 190.000 Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen wie Asthma, Allergien, Diabetes, Rheuma, Stoffwechselstörungen oder Bindegewebserkrankungen", so Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie. Diese krankheitsbedingten Veränderungen im Kindesalter stellen nicht nur das Kind und die Familie vor große Herausforderungen, sie verändern das gesamte Alltagsleben. "Damit alle Kinder gute Entwicklungsmöglichkeiten bekommen, müssen wir die Benachteiligung dieser Kinder in Bezug auf Stützkräfte und Assistenz beenden. Wir brauchen für eine gute Entwicklung gut ausgestattete Krabbelstuben und Kindergärten, Stützkräfte und Schulassistenz", so Schenk.
190.000 chronisch kranke Kinder in Österreich brauchen Unterstützung!
Damit sie alle die Entwicklungsmöglichkeiten bekommen, die sie brauchen, müssen wir die Benachteiligung dieser Kinder in Kindergarten und Schule beenden.