Spielsucht: 20.000 Euro Verlust durch zehn Sekunden virtuelles Spiel

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11. Juli 2018
Stefan W. ist fest entschlossen, die Sucht nicht mehr über sein Leben bestimmen zu lassen

Stefan W. war fasziniert von der Welt des Glücksspiels. Doch die eleganten Casino-Abende endeten in einer Spielsucht, die den jungen Kärntner 150.000 Euro kostete. Das Geld verspielte er vorwiegend bei Online-Anbietern. Als er aussteigen wollte, versuchte man ihn zum Bleiben zu überreden – mit zweifelhaften Methoden, wie der Kärntner erzählt …

„Ich glaube, ich hatte das Pech, am Anfang zu viel zu gewinnen.“ Stefan W. ist jung, attraktiv und glücklich verheiratet. Und doch hat er ein massives Problem. Der 31-Jährige ist spielsüchtig. In den vergangenen Jahren hat er Geld verloren. So viel, dass er sich darum ein Haus hätte kaufen können.

„Zu Beginn bin ich – eigentlich aus gesellschaftlichen Gründen – ins Spielcasino in Velden gegangen. Es kam vor, dass ich 5.000 oder 10.000 Euro an einem Abend gewann. Das war ein Wahnsinnsgefühl. Allerdings habe ich das Geld später wieder verloren, aber diesen Verlust habe ich verdrängt. Anfangs spielte ich Roulette, später Black Jack. Von diesem Spiel kam ich dann nicht mehr weg.“

Bei einem Casinobesuch sei es zu einem ungewöhnlichen Vorfall gekommen, so der Kärntner:  „Ich saß an einem Automaten, in den ich 500 Euro hineingeschoben hatte. Doch dann schienen – aufgrund eines Fehlers im System – plötzlich 20.000 Euro auf. Ich wurde nervös, versuchte einen Teil zu verspielen und wollte den Rest behalten, aber plötzlich setzte eine Glückssträhne ein und das Geld wurde immer mehr. Auf einmal hatte ich 30.000 Euro. Ich brachte einen Teil des Geldes in mein Auto, ging dann nochmals hinein, verspielte den Rest und traute mich eine Zeit lang nicht mehr ins Casino. Einige Wochen später war ich doch wieder dort. Zunächst geschah nichts Ungewöhnliches, doch dann kam jemand und bestellte mich in ein Büro. Man fragte mich, ob mir bewusst war, dass es sich bei meinem hohen Gewinn um einen Automatenfehler handelte. Ich konnte nicht anders, als diese Frage mit  „ja“ zu beantworten. Außer mir waren noch drei andere Besucher betroffen, aber ich hatte mit dem fremden Geld den höchsten Gewinn erzielt. Man informierte mich, dass der Automatenkonzern für den Schaden aufgekommen war, ich aber in Zukunft nicht mehr ins Casino kommen könnte, da man mich gesperrt hatte.“

Schuldenfalle Online-Casinos

Für Stefan W. hätte es der Moment sein können, das Glücksspiel zu beenden. Doch seine Spielsucht war zu weit fortgeschritten und der Kärntner verlagerte seine Einsätze vom Casino in die virtuelle Welt. „Ich spielte nur noch in Online-Casinos. Die sind sehr bequem. Man muss sich nicht extra schick machen, ein Konto ist zudem schnell erstellt. Man findet so viele Anbieter: Mr. Green, William Hill, Betway, Interwetten ... es ist nicht wirklich überschaubar. Es gibt auch viele Foren, wo man nachlesen kann, welche Online- Casinos am besten bewertet werden. Man kann überall Konten anlegen. Im Falle einer Sperrung hat man genug Ausweichmöglichkeiten. Natürlich ist es ein Trugschluss, wenn man glaubt, dass man beim Marktführer die besten Chancen hat, aber viele Spieler denken zunächst so ...“

Begonnen hat die Spielsucht des Kärntners übrigens schon recht früh. „Mit 18 Jahren war ich das erste Mal im Spielcasino. Zunächst ging ich alle zwei bis drei Monate hin, dann einmal pro Monat, dann einmal die Woche und bald fanden die Besuche schon dreimal die Woche statt. Ich verspielte alles, was ich erspart hatte, alle Gewinne, die ich erzielt hatte, und all das Geld, das ich von meinen Eltern bekommen hatte. Einmal hatte ich plötzlich 80.000 Euro am Konto, kurze Zeit später waren sie wieder weg. Dann musste ich 22.000 Euro Kredit aufnehmen, um meine Schulden bezahlen zu können. Von diesem Moment an ging es bergab. Den Kredit zu bekommen war kein Problem, ich verdiente ganz gut und gab als Grund einen Autokauf an, was niemand in Frage stellte. Ich erhielt das Geld sofort.“

Die Eltern von Stefan W. wussten zunächst nichts von der Spielsucht ihres Sohnes. Als sie es erfuhren, waren sie schockiert, unterstützten ihren Sohn jedoch weiterhin. „Ich habe großes Glück mit meinen Eltern. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn sie mich hängengelassen hätten. Sie haben mich immer aus meinen Krisen herausgerissen. Viele andere Eltern können das gar nicht, weil sie nicht über die Mittel verfügen. Im Lauf der Zeit habe ich gut 150.000 Euro verspielt. Alle Kredite und das Geld meiner Eltern waren weg.“ Wenn gar kein Geld mehr da war, erklärten sich die Online-Casinos bereit,  „auszuhelfen „, indem sie weitere Kredite verliehen:  „Wenn ich wieder einmal 500 Euro oder mehr verloren hatte, schrieb ich verzweifelte E-Mails an den jeweiligen Spielkonzern. Als Antwort bekam ich dann 50 Euro gutgeschrieben, ich hatte also einen ›Bonus‹ fürs nächste Mal. Natürlich diente der nur dazu, um weiterzuspielen.“

Dass er ein Problem hatte, war dem Spieler klar. Er versuchte auszusteigen. Der Kärntner googelte nach Stellen, die Hilfe für Spielsüchtige anboten und stieß auf das Angebot der Spielsuchtambulanz de La Tour in Villach. „Die Leute dort waren mir sympathisch. Ich ging ein paar Mal hin und dann dachte ich, ich hätte mein Leben wieder im Griff. Alles lief zunächst gut. Aber dann wollten wir das Dach unseres Wohnhauses sanieren. Ich hatte etwas gespart und 15.000 Euro auf der Seite. Für das Dach war das zu wenig, und schon war der Gedanke wieder da, das Geld mittels Glücksspiel zu vermehren ...“ Das sei nicht gelungen:  „Mein Erspartes war weg, was ich zunächst verheimlichte. Irgendwann musste ich es meiner Frau gestehen. Mit diesem Rückfall hatte ich schwer zu kämpfen. Aber ich ging weiter in Therapie und bis heute ist es bei diesem einen Ausrutscher geblieben.“

Warum er so tief in die Sucht geraten sei, sei nicht leicht zu erklären: „Es ist schwer zu beschreiben. Es fühlt sich an, wie ein täglicher Kampf. Das Warum ist für andere nicht nachvollziehbar. Mir fällt es auch schwer, zu verstehen, warum ein Raucher nicht zum Rauchen aufhören kann. Anfangs sucht man die Schuld bei den anderen. Man meint zum Beispiel, man hätte einen schlechten Tag in der Firma gehabt. Heute denke ich, dass ich weitgehend selbst schuld bin. Klar wird man verleitet; das geht teilweise sehr weit.

Auf die großen Spielkonzerne habe ich schon eine arge Wut. Denn wenn man hört, dass die Chefs dort 50 Millionen Dividende pro Jahr ausgezahlt bekommen, dann hinterlässt das schon ein schlimmes Gefühl. Jedem, der mit den Existenzen anderer spielt, wünsche ich, dass er selbst einmal an den Punkt kommt, an dem er nichts mehr hat und nicht mehr weiter weiß. Als ich soweit war, auszusteigen und mich überall sperren ließ, erhielt ich eine Einladung von einem der größten Anbieter. Sie wollten mir eine Reise nach Island finanzieren, ins teuerste Hotel der Insel, inklusive Casino-Besuch natürlich. Als ich das ablehnte, legten sie noch eins drauf: Sie fragten mich, ob ich vielleicht lieber ins Spielerparadies Macau fliegen möchte, Taschengeld, Essen und Ausflüge wären inklusive. Die Reise war gut 10.000 Euro wert. Damit wollten sie mich wieder ins Boot holen.“

Ich kenne die Methoden großer Spielkonzerne. Viele meiner Patientinnen und Patienten berichten mir davon. Wenn ihnen Kunden wegbrechen, greifen sie zu verführerischen Mitteln, um sie wieder an sich zu binden.

Hannes Sterbenz

Hannes Sterbenz von der Spielsuchtambulanz in Villach kennt solche Methoden von Spielkonzernen:  „Viele meiner Patienten zeigen mir ähnliche Einladungen. In dieser Höhe hatte ich es bis dahin noch nicht gesehen. Die Konzerne wollen nicht, dass ihnen jemand wegbricht und diese Einladungen sind ihre Vorgehensweise, um das zu verhindern. Das Kleingedruckte besagt, dass die Reisen nicht übertragbar sind.

Klar, denn an jemandem, der nicht spielsüchtig ist, würden sie nicht verdienen – Geld verschenken sie nur, wenn sie damit rechnen, es sich wieder zurückholen zu können …“, so der Therapeut. Die Online-Casinos seien aus seiner Sicht das schlimmste Angebot, meint Stefan W.:  „Das Zuhause wird zu einem virtuellen Casino. Man kann überall spielen, wo ein Tablet, ein Handy oder ein Computer zur Verfügung steht. Es geht alles wahnsinnig schnell, man glaubt, man kennt das System und hat es im Griff. Ein Livestream zeigt den Croupier, der auf Malta oder sonstwo sitzt; das Kartendeck wird gemischt – und das war's dann auch schon. Oft dauert es nur zehn Minuten und schon sind 20.000 Euro weg.“

All die Liebe, das Verständnis und alles Glück der Erde halfen mir nicht, ›nein‹ zu sagen. Es ist krass, wie tief die Sucht im Kopf sitzt, man kann das nicht erklären.

Stefan W.

Über sein Suchtproblem habe er nur sehr schwer sprechen können, erzählt Stefan W.:  „Außer meiner Frau und meinen Eltern habe ich es nur einem sehr engen Freund erzählt. Ich habe noch einen weiteren guten Freund, mit dem ich nicht über mein Problem gesprochen habe, von dem ich aber weiß, dass er selbst spielt. Wenn man selbst betroffen ist, erkennt man so etwas. Es gibt Zeiten, da hat er gar kein Geld, dann wieder ist er großzügig und lädt alle ein. Bisher konnte ich mich nicht überwinden, ihm meine Geschichte zu erzählen. Das fällt mir wirklich schwer, mich anderen anzuvertrauen. Es ist für mich eine peinliche Situation. Ich will auch kein Mitleid. Denn was bringt es mir, wenn ich z. B. meiner Frau leid tue, was haben wir davon? Das hilft mir nicht und ihr auch nicht. Dennoch – nachdem ich ihr von meinem Rückfall voriges Jahr erzählt hatte, fühlte es sich an, als wäre ich einen 500 Kilo schweren Stein losgeworden. Vor Kurzem habe ich auch meinem Vater davon erzählt. Er steht nach wie vor hinter mir und versucht mich zu verstehen. Er selbst ist ja ein Kämpfer und hat sein ganzes Leben immer hart gearbeitet. Ich bin so dankbar, dass er mich nicht fallen ließ. Es gibt ja Betroffene, die sich aus Verzweiflung umbringen. So weit war ich nie. Aber meine Beziehung wäre aufgrund meiner Spielsucht fast zerbrochen. Meine Frau und ich waren sogar eine Zeit lang getrennt. All die Liebe, das Verständnis und alles Glück der Erde halfen mir nicht, nein zu sagen. Es ist schon krass, wie tief die Sucht im Kopf sitzt, man kann das nicht erklären.“

Die Angst vor einem Rückfall ist immer präsent

Derzeit hat der 31-Jährige seine Suchterkrankung im Griff.  „Die Angst vor einem Rückfall ist immer präsent. Es ist ein beunruhigendes Gefühl, wenn man weiß, dass man rückfällig werden kann. Ich denke oft, dass ich nicht mehr unbeschwert leben kann. Ich muss immer darauf achten, was ich nicht mehr machen darf.“ Die Erfolgsquote bei Spielsüchtigen, die sich in Therapie begeben, sei recht gut, meint Stefan W.s Therapeut:  „Ein Drittel der Betroffenen steigt komplett aus. Ein weiteres Drittel fällt gelegentlich zurück in die Sucht und ein weiteres Drittel schafft es nicht. Ein Rückfall bedeutet nicht gleich den Weltuntergang. Wichtig ist, dass man seinen Therapeuten bzw. die Person seines Vertrauens anruft“, so Sterbenz.

Stefan W. ist fest entschlossen, die Sucht nicht mehr über sein Leben bestimmen zu lassen:  „Meine Frau und ich sind Hobbybauern. Ich liebe die Arbeit mit unseren Tieren, sie bedeutet einen wunderbaren Ausgleich für mich. Das hilft mir sehr. Tiere sind so dankbar, es ist schön, sich um sie zu kümmern. Das Gefühl beim Spielen, der Moment, in dem man nicht weiß, ob man gewinnen oder verlieren wird, das ist hingegen so anstrengend wie ein sehr anspruchsvoller Marathon. Es macht einen fertig. Man verliert ja nicht nur Geld, man verliert auch an Lebensqualität. Und das will ich mir definitiv nicht mehr antun.“

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