Teil 8: Das muslimische Kopftuch

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06. April 2017
Wenn es um das Kopftuch geht, geht es also um eine komplexe Gemengelage von Religion, Geschlecht, kultureller Identität und persönlicher Freiheit.

Hintergründe zum Thema Religionsfreiheit - damit jede und jeder informiert mitreden kann. Eine Initiative von www.unsereverfassung.at in Zusammenarbeit mit dem Institut für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie.

Bei den Streitfällen um das Kreuz geht es um ein Symbol einer Religion, das – salopp gesagt – an einer Wand hängt. Außerdem handelt es sich um ein Symbol, das in Österreich oder Deutschland von einem großen Teil der Bevölkerung als „wichtig“ oder „traditionell“ angesehen wird – auch wenn viele längst nichts mehr mit den Kirchen am Hut haben. Beim Kopftuch wird es komplexer:

  • Erstens ist das Kopftuch ein Bekleidungsstück. Was wir am Leib tragen, wie wir uns kleiden, ist immer Ausdruck unserer Persönlichkeit. Bekleidungsverbote bzw. -vorschriften berühren über das Recht auf Religionsfreiheit hinaus auch das Recht auf Privatheit (Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention). Wie viel Individualität in Sachen Bekleidung soll Menschen zugestanden werden? Wie weit sollen Staat und private Unternehmen in die Kleidungsfreiheit eingreifen können?
  • Zweitens ist das Kopftuch eine Bekleidungstradition einer bestimmten Religion: des Islam. Manche sehen es als Symbol des „politischen Islam“ und der „schleichenden Islamisierung Europas“. Wenn über Kopftuchverbote diskutiert wird, werden Fragen mitverhandelt wie: Gehört der Islam zu Europa? Was sind zentrale Werte westeuropäischer Gesellschaften und wie werden sie gelebt?
  • Drittens ist das Kopftuch ein Bekleidungsstück, das nur Frauen tragen. Bei der Kopftuchfrage geht es auch um die Geschlechterfrage. Manche Mitglieder der westlichen Mehrheitsgesellschaft meinen, das Kopftuch sei ein Zeichen „der Unterdrückung der Frau“ und Kopftuchverbote dienten der Emanzipation und Befreiung. Manche männliche muslimische Religionsführer sagen, das Kopftuch für Musliminnen sei ein religiöses Gebot und Frauen sollten im Sinne der Religionsfreiheit diesem Gebot folgen können. Muslimische Frauen selbst sagen, das Kopftuch sei Ausdruck ihres Selbstverständnisses und ihrer Identität. Wer kann die Motivation und Beweggründe muslimischer Frauen, das Kopftuch zu tragen (oder auch nicht), beurteilen und bewerten? Welche Maßnahmen sind hilfreich, damit Frauen sich frei entscheiden können?

Wenn es um das Kopftuch geht, geht es also um eine komplexe Gemengelage von Religion, Geschlecht, kultureller Identität und persönlicher Freiheit. Das sind gesellschaftliche Fragen. Welche Rolle spielt nun das Recht in der Auseinandersetzung mit diesen Fragen?

a) Zum einen stellt sich die grundsätzliche Frage: Was soll durch Gesetze geregelt werden und damit für alle verbindlich sein? Und was soll der freien Entscheidung des/der einzelnen überlassen bleiben?

b) Zum anderen gibt es geltendes Recht, das in der Kopftuch-Frage zur Anwendung kommt. Wobei: Gerichte haben weder „eine Gefahr“ zu beurteilen, noch „Frauen zu retten“ oder religiöse Vorschriften auszulegen. Wenn ein „Kopftuch-Fall“ vor Gericht kommt, dann hat dieses nur aufgrund bestehender rechtlicher Vorschriften zu entscheiden.

Die rechtliche Lage in der EU

In Deutschland hat Bundesverfassungsgericht 2015 über einen Fall entschieden, in dem es darum ging, ob ein Land pauschal (d.h. ohne nähere Gründe) Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs verbieten darf. Das Gericht entschied: Ein solches Verbot ist unverhältnismäßig, wenn das Tragen des Kopftuchs nachvollziehbar auf ein religiöses Gebot zurückzuführen ist, das als verpflichtend verstanden wird. In der Schule muss ein angemessener Ausgleich zwischen der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte und der Glaubensfreiheit der Schüler/innen sowie der Eltern garantiert werden. Nur wenn die Gefahr von Konflikten besteht, die zu einer konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen führt, kann ein Verbot – für bestimmte Schulen oder eine bestimmte Zeit – zulässig sein. Dann müssen jedoch Maßnahmen getroffen werden, die für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen unterschiedslos gelten.

In Österreich hatte der Verfassungsgerichtshof noch nicht über ein Kopftuchverbot zu entscheiden. Im Jahr 2016 beschäftigte sich aber der Oberste Gerichtshof mit dem Tragens des Kopftuchs, der Abaya (ein traditionelles islamisches Überkleid) und des Niqab (Gesichtsschleier) in einem privaten Unternehmen. Fälle wie dieser sind Gleichbehandlungsgesetz geregelt. Es schützt Arbeitnehmer/innen vor unsachlicher Benachteiligung aufgrund der Religion. In die Beurteilung, ob eine unsachliche Benachteiligung aufgrund der Religion vorliegt, sind die Anforderungen an die Tätigkeit mit einzubeziehen. Der Gerichtshof stellte fest, dass Äußerungen des Vorgesetzten gegenüber der Angestellte, da sie Kopftuch und Abaya trug, eine Diskriminierung darstellten. Gleichzeitig hielt das Gericht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber für zulässig, nachdem die Arbeitnehmerin ankündigt hatte, einen Niqab tragen zu wollen, der ihr Gesicht bis auf die Augen verhüllte. Die Begründung: Das Tragen eines Niqab hätte die Kommunikation der Angestellten mit Kunden und Kollegen derart eingeschränkt, dass die Anforderungen an die Tätigkeit nicht mehr erfüllt seien.

Der Europäische Gerichtshof hatte vor kurzem ebenfalls Fragen der Religionsfreiheit von ArbeitnehmerInnen in privaten Unternehmen zu beurteilen. In zwei Fällen ging es um Kündigungen von Arbeitnehmerinnen, die das Kopftuch trugen bzw. tragen wollten. Im belgischen Fall wurde der Verstoß gegen eine interne Regelung vorgebracht. Diese verbot allen Arbeitnehmer/innen das sichtbare Tragen politischer, philosophischer und religiöser Zeichen sowie die Ausübung jedes Ritus am Arbeitsplatz. Der EuGH urteilte, dass durch die generelle Regelung keine unmittelbare Diskriminierung gegeben sei, forderte jedoch das nationale Gericht auf, eine mittelbare Diskriminierung zu prüfen. Er ließ also das Ziel des Unternehmens, nach außen hin neutral auftreten zu wollen, grundsätzlich gelten. Er forderte aber eine strenge Abwägung mit der Religionsfreiheit der betroffenen Arbeitnehmerin. Es müsse genau geprüft werden, ob bestimme Gruppen durch diese Regelung in besonderem Ausmaß benachteiligt (d.h. mittelbar diskriminiert) sein könnten, ob die Regelung unbedingt erforderlich sei und ob es gelindere Mittel gebe, das Ziel der Neutralität zu erreichen. So müsse das Unternehmen prüfen, ob die Arbeitnehmerin nicht an einen Arbeitsplatz versetzt werden könne, bei dem es keinen Sichtkontakt nach außen gebe. Im zweiten Fall ging es um den Wunsch eines Kunden, eine Dienstleistung nicht von einer Frau mit Kopftuch zu erhalten. Dem Nachgeben dieses Wunsches konnte der EuGH nichts abgewinnen, er sah darin keine Anforderung an die Tätigkeit. Hier liege eine unmittelbare Diskriminierung der Frau vor.

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