Die Hölle auf Lesbos (2.Teil)

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11. Dezember 2020
Diakonie-Menschenrechtsexperte Christoph Riedl mit einem ernüchternden Augenzeugenbericht aus dem Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos.

Sämtliche Fotos wurden von Bewohner:innen des Lagers zur Verfügung gestellt.

"Notduschen", "Wasserstellen", "Corona-Quarantäne"

Bilder, die uns von Bewohner:innen des Lagers geschickt wurden, zeigen Holzverschläge mit einem Quadratmeter Grundfläche, die mit Plastikplanen umhüllt sind. Das sind die derzeit verfügbaren "Notduschen". Sie verfügen nicht einmal über eine Möglichkeit die Kleidung außerhalb auszuziehen. Für die Frauen ein Riesen Problem. Drinnen hängt ein Kübel mit kaltem Wasser, den man sich über den Kopf leert. Im Dezember ist das auch für sehr abgehärtete Menschen nicht gesundheitsfördernd. Insbesondere dann, wenn die gesamte Kleidung von den ständigen Regenfällen ohnehin schon feucht und klamm ist und nicht mehr richtig trocknet.

An einigen Stellen gibt es Wasserstellen: aufgehängte große Wasserflaschen. Daneben hängt eine Flasche mit Desinfektionsmittel.

"Die Corona-Quarantäne" ist ein mit Stacheldraht abgezäuntes Gelände. Zerfurchter blanker Erdboden, immer feucht vom letzten Regen. Dort stehen jetzt die 25 Zelte aus Österreich, die aufgestellt wurden. Es ist der windigste Teil des Lagers.

Verwaltung des Elends

Für die Kinder gibt es keine Tagesstruktur und keine Schule. Das Lager steht auf einem ehemaligen Schießplatz. Die Eltern wollen ihre Kinder nicht am Boden spielen lassen, weil sie Angst haben, dass sie Munition finden könnten. Zudem befürchtet die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch", dass auch dieses Gelände, das vor 100 Jahren als Schießplatz eingerichtet wurde, mit Blei aus der Munition verseucht sein könnte.

Eine Untersuchung des Bodens hat es nicht gegeben, nur Beteuerungen der Regierung, wonach alles in Ordnung sei. Bei Blei gibt es keine Grenzwerte. Insbesondere für Kinder und stillende Mütter können aber auch geringste Dosen gefährlich werden.

Die großen Hilfsorganisationen die von der griechischen Regierung hier eingesetzt wurden, können nichts Anderes tun als das Elend so gut wie möglich zu verwalten. Sie kämpfen sich langsam vorwärts mit keinen Verbesserungen, aus denen aber niemals ein akzeptabler Zustand werden kann.

Die permanente Inszenierung eines Notstandes ist unmenschlich und gesetzeswidrig

Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die griechischen Inseln auf europäischem Boden befinden und Griechenland ein EU-Mitgliedsstaat ist. Katastrophen-Hilfseinsätze, wie sie hier durch die professionellen Hilfsorganisationen geleistet werden, können und dürfen nur Erste-Hilfe-Maßnahmen sein.

Das Asyl-Aufnahmesystem eines EU-Staates permanent als Katastropheneinsatz zu betrachten, ist ein unzulässiger Ansatz. Flüchtlingsunterkünfte müssen auf dem Boden der Europäischen Union menschenwürdig sein und sie müssen auf besonders schutzbedürftige Menschen Rücksicht nehmen.

Für Zustände, wie sie seit Jahren auf den griechischen Inseln herrschen, darf in der Europäischen Union kein Platz sein. Flüchtlingsunterkünfte in Griechenland dürfen sich von der Ausstattung und der Betreuung nicht von Unterbringungseinrichtungen in Deutschland oder Österreich unterscheiden. Die Zustände in griechischen Lagern müssten nicht so sein.

Die permanente Inszenierung eines Notstandes ist unmenschlich und gesetzeswidrig.

Zum Abschluss unseres Besuches haben wir die mit dem internationalen UNHCR-Nansen-Preis ausgezeichnete Menschenenrechts-Aktivistin Efi Latsoudi gefragt, wie sie die Zustände im neuen Lager Kara Tepe bezeichnen würde. Ihre Antwort fiel knapp und deutlich aus: "Es ist Folter!"

1.Teil des Berichts.

Autor:innen

Mag. Christoph Riedl
Grundlagen & Advocacy
Sozialexperte Migration, Asyl, Integration, Menschenrechte