Psychotherapie für geflüchtete Kinder

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14. Februar 2020
Wie äußert sich eine Traumatisierung bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen und welche Therapieformen gibt es?

Geflüchtete Kinder und Jugendliche sind von menschenverursachtem Leid traumatisiert

Geflüchtete Kinder und Jugendliche haben oft unsagbares Leid erfahren und gesehen – sie sind traumatisiert. Sie kämpfen mit Flashbacks, massiven Ängsten, Hoffnungslosigkeit und verlorenem Vertrauen in die eigene Zukunft (siehe auch unten). Sie sind oft von einer inneren Unruhe geplagt, ihr Körper befindet sich ständig in höchster Alarmbereitschaft. So können sie etwa in der Schule nicht stillsitzen. Sie leiden unter Schlaflosigkeit oder Alpträumen (auch Schreckensträume) und sind folglich oft müde und unkonzentriert. Traumatisierte Kinder können in sich selbst zurückgezogen sein oder aggressives Verhalten – gegen sich selbst, Gegenstände oder andere – an den Tag legen.

Geflüchtete Kinder leiden besonders schwer an seelischen Verletzungen

Warum seelische Verletzungen für geflüchtete Kinder besonders belastend sind und oft viel Zeit vergeht, bis sie therapeutische Hilfe erhalten, erläutert Felicitas Heindl: Die Eltern oder Bezugspersonen sind oft selbst schwer traumatisiert, hoffnungslos und von Ängsten geplagt. Das Warten auf den Asylbescheid wirkt meist noch als Verstärker der Ängste und Hoffnungslosigkeit. Die Kinder sind dann zwar versorgt, aber es fehlt die emotionale Stabilität und Kraft, mit der Traumatisierung richtig umzugehen und Hilfe von außen zu holen. Auch in Bildungseinrichtungen fehlen meist (personelle) Ressourcen, um Traumatisierungen von geflüchteten Kindern zu erkennen und entsprechende Schritte zu setzen.

Gedankenreisen zu einem geschützten Ort, den nur die Kinder kennen: Therapie für geflüchtete Kinder und Jugendliche

Mit altersgerechten Therapieformen lernen die Kinder und Jugendlichen im interkultrellen Psychotherapiezentrum JEFIRA mit ihrer Traumatisierung umzugehen. Eine Möglichkeit ist die Gedankenreise zu einem geschützten Ort. Die Kinder malen sich einen Ort aus, zu dem nur sie Zugang haben. Sie stellen sich vor, wie es dort aussieht und was sie dort machen. An diesem Ort kann es auch jemanden geben,  der ihnen zuhört und sie beschützt. Mit Kleinkindern baut die Therapeutin Heindl schützende Burgen aus Pölstern und Decken. Der Idee des geschützten Ortes liegt zugrunde, dass es einerlei ist, ob man sich tatsächlich in einem geschützten Raum befindet oder sich diesen nur vorstellt: Das körperliche Befinden verbessert sich und das innere Sicherheitsgefühl wird gestärkt - die Kinder fühlen sich sicherer und können sich entspannen.

Wo es möglich ist, arbeitet Heindl auch mit den Eltern zusammen und begleitet und berät sie im Umgang mit der Traumatisierung. So profitiert die ganze Familie von der therapeutischen Aufarbeitung des Traumas und die Eltern können für die Kinder jene geschützte Umgebung schaffen, die sie brauchen, damit Kinder so aufwachsen können wie sie es sollen: Wie Kinder.

JEFIRA bietet seit 2006 traumaspezifische, kultursensible und dolmetschgestützte Psychotherapie für geflüchtete Kinder und Erwachsene. Die Kinder sind in der Regel ein bis eineinhalb Jahre in Behandlung.

Im interkulturellen Psychotherapiezentrum werden traumatisierte geflüchtete Kinder stabilisiert und lernen, mit ihren seelischen Verletzungen umzugehen. Nur so können sie wie andere Kinder auch den Kindergarten oder die Schule besuchen und Freundschaften schließen. Warum ein aufmerksames und liebevolles Umfeld dafür besonders wichtig ist, hat die Kindertherapeutin Felicitas Heindl hier erklärt.

 

Factbox Traumatisierung

  • Flashbacks
    Flashbacks sind momentane schmerzhafte Erinnerungen an ein traumatisches Erlebnis. Es sind wiederkehrende Schreckenserinnerungen, die Betroffene in denselben körperlichen und emotionalen Zustand versetzen, den sie damals erlebt haben. Flashbacks können Betroffene jederzeit überrollen, ihr Körper befindet sich dadurch in ständiger Alarmbereitschaft. Bei Schulkindern kann es daher sein, dass es ihnen schwerfällt, ruhig sitzen zu bleiben.
     
  • Wiederholendes Verhalten
    Wenn Kinder und Jugendliche immer wieder dieselben Schreckensgeschichten erzählen oder Spiele mit brutalen, schmerzhaften Inhalten wiederholen, versuchen sie, das traumatische Erlebnis damit zu verarbeiten. Für das Umfeld kann das sehr belastend sein. In der Therapie kann an diesen Spielen oder Erzählungen angesetzt werden.
     
  • Massive Ängste
     Kinder, die unter massiven Ängsten leiden, können sehr schreckhaft und zurückgezogen sein. Die Ängste verursachen Alpträume und Schlaflosigkeit. Starke Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten sind die Folgen. Massive Ängste können auch zu aggressivem Verhalten gegen sich selbst, Gegenstände oder andere führen.
     
  • Veränderte Einstellung zu Menschen, zum Leben und zur Zukunft
    Geflüchtete Kinder leiden unter menschengemachten Traumatisierungen, denn sie mussten miterleben, wie jemand oder sie selbst entführt wurde, wie Bomben explodierten oder jemand ermordet wurde. Dadurch ist das gesamte Vertrauen in Menschen, in das Leben und in die Zukunft erschüttert. Die veränderte Einstellung – ausgelöst durch das traumatische Erlebnis – kommt einer großen Hoffnungslosigkeit gleich.
     
  • Vermeidungsverhalten
    Alles, was an das traumatische Erlebnis erinnert, wird vermieden. Wenn beispielsweise bei einem Schulkind die Traumatisierung durch einen Bombeneinschlag ausgelöst wurde und auf einem Schulfest platzt ein Luftballon, wird es sich weigern, weitere Schulfeste zu besuchen.