Jugendliche mit schwieriger Lebensgeschichte brauchen Begleitung und Betreuung über das 18. Lebensjahr hinaus.

Jugendhilfe: Begleitung bis 24 Jahre

Jugendliche mit schwieriger Lebensgeschichte brauchen Begleitung und Betreuung über das 18. Lebensjahr hinaus. Auch in einer Familie enden die Sorge und Unterstützung nicht einfach mit dem 18. Geburtstag. Diese Begleitung wirkt stark präventiv und beugt Abstürzen vor, wie wir aus anderen europäischen Ländern wissen. 

Junge Erwachsene. In diesem Alter werden wichtige Weichen für die Zukunft gestellt, doch der Übergang zur Verselbstständigung (Wohnung, Arbeit, Partnerschaft etc.) ist mitunter schwierig und wird als „Adoleszenzkrise“ bezeichnet. Im Schnitt ziehen junge Menschen hierzulande mit 24 Jahren von zu Hause aus – und auch dann werden sie meistens noch weiter (finanziell) unterstützt. Anders ist es jedoch ausgerechnet bei jenen Jugendlichen, die außerhalb der Familie, also in Wohngemeinschaften oder Pflegefamilien, aufwachsen. Bei ihnen endet die Hilfe häufig mit der Volljährigkeit. Mit 18 müssen diese jungen Leute auf eigenen Beinen stehen.

Wir wissen aus anderen europäischen Ländern, dass die längere Begleitung in der Jugendhilfe stark präventiv wirkt und Abstürzen vorbeugt.

Martin Schenk, Diakonie-Sozialexperte

Das Kindeswohl ist in allen Belangen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen.

Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, seit 2011 in Österreich in Verfassungsrang

Begleitung in Norwegen oder Deutschland bis 24 Jahre

Die Diskriminierung der sogenannten „Care Leaver“ ist kein österreichspezifisches Problem, doch in anderen Ländern hat man bereits reagiert: 

  • In Norwegen geht die staatliche Unterstützung bis zum Alter von 24 Jahren. 
  • In Deutschland können die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe bis 26 verlängert werden, bis 21 kann man neu in eine Maßnahme hineinkommen. 
  • In Großbritannien muss zwei Jahre nach Beendigung der Maßnahme der/die Jugendliche aktiv kontaktiert werden, um zu sehen, ob Unterstützungsbedarf besteht. 

Das Kindeswohl ist in allen Belangen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen – so heißt es in Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, der seit 2011 in Österreich Verfassungsrang hat. Es kann nicht sein, dass es in einem kleinen Land wie Österreich einen Unterschied macht, ob ein Kind in Vorarlberg oder im Burgenland lebt und der Wohnort entscheidet, welche Art der Hilfestellung es bekommt.

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 42.973 Kinder und Jugendliche im Rahmen der Unterstützung der Erziehung sowie 12.888 Minderjährige im Rahmen der Vollen Erziehung betreut. In beiden Betreuungsformen lag der Anteil der Buben über jenem der Mädchen. Volle Erziehung wurde hauptsächlich in sozialpädagogischen Einrichtungen erbracht: Hier waren 61,2% der betreuten Kinder und Jugendlichen untergebracht, die anderen 38,8% lebten in Pflegefamilien.

Ein Bursche hat eine klassische Heimkarriere durchlaufen: Schon als Kind aufgrund einer massiven Überbelastung des familiären Systems und damit einhergehenden Auffälligkeiten beim Kind in einer sozialpädagogischen Einrichtung. Das Familiensystem bleibt instabil und kann das Kind weiterhin nicht adäquat versorgen. Die „Zerrissenheit“ des Kindes belastet die Entwicklung sehr stark. Insbesondere in der Schule verstärken sich Frustration, Versagensängste, Wut und Aggression.

Einrichtungswechsel; also erneut Beziehungsabbruch – erneut Beziehungsaufbau. Es gelingt Vertrauen aufzubauen, Sicherheit und Stabilität zu geben, über die Förderung des Selbstwerts die Selbstwirksamkeit zu steigern. „Ich kann doch etwas!“ Ich muss nicht immer der Coole, Wilde sein.

Schule bessert sich. Dann kommt der Sprung zur Lehre. Dort mögen sie den Burschen auch, finden, er ist super! Durch die Verzögerung in der Entwicklung wird er nun im ersten Lehrjahr 18 Jahre alt. Kurz vor der ersten Berufsschule soll er Ende des Jahres aus der Wohngemeinschaft entlassen werden und ohne Nachbetreuung seinen Weg alleine bestreiten. Das Familiensystem kann keine Unterstützung leisten. Was passiert? Versagensangst vor der Berufsschule, das Schulthema ist wieder voll da. „Das schaffe ich sowieso nicht – da kann ich ja gleich aufhören…“ Die alten Muster schlagen wieder voll durch.

Mit nur wenig Betreuung aus der WG heraus, mit den ihm vertrauten Personen wird er es schaffen – und er könnte einer von denen werden, die am Ende der Berufsschule sogar einen sehr guten Erfolg vorweisen können. Ohne diese Unterstützung aber wird er genau das machen, was er über lange Zeit vorher eintrainiert hat – es vor dem (befürchteten) Scheitern selbst zerstören. Keine Ausbildung heißt keine Zukunft. Mit nur drei Betreuungsstunden in der Woche könnte das mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden. Das kostet keine 200 Euro. Es wird uns allen ein Vielfaches kosten, wenn der Bursche kurz vor dem Ziel allein gelassen wird.