Ein gutes Leben im Alter – das wünschen wir uns alle. Das angekündigte Reformpaket ist ein erster Meilenstein.
Pflegereform 2022: Erster Meilenstein geschafft – jetzt muss es weitergehen
Wir werden immer älter und das ist gut so. Der demografische Wandel in Verbindung mit einem zunehmenden Bedarf an Pflegekräften stellt unser aktuelles Pflegesystem aber vor eine Herausforderung.
Zum internationalen Tag der Pflege am 12. Mai hat die Bundesregierung ein Pflegereform-Paket präsentiert. In den kommenden zwei Jahren soll insgesamt 1 Milliarde in die Pflege investiert werden. Die Regierung möchte insgesamt 20 Maßnahmen umsetzen. (Details gibt´s hier zur Nachlese)
Positiv bewertet die Diakonie den Fokus auf die Pflegekräfte: Ein großer Teil der Milliarde wird für Gehaltssteigerungen verwendet werden – eine (monetäre) Anerkennung der wichtigen Arbeit, die Pflege- und Betreuungspersonen täglich leisten. (Update vom 5. Juli 2022: Ursprünglich waren 520 Millionen Euro für Gehaltsteigerungen vorgesehen. Nach Durchsicht der Stellungnahmen im Begutachtungsprozess wurde der Betrag um 50 Millionen Euro aufgestockt, damit auch Heimhelfer:innen und Behindertenbegleiter:innen eine Gehaltserhöhung erhalten können.)
Die Bedeutung der Sozialbetreuungsberufe wurde immer wieder von der Diakonie und den anderen Sozialorganisationen eingebracht. Die Botschaft ist angekommen. Das Pflegestipendium, das ursprünglich für September 2023 geplant war, wird jetzt bereits ab Jänner 2023 ausbezahlt. Auszubildende, die arbeitslos oder karenziert sind, und eine Ausbildung in der Pflege oder Betreuung starten wollen (mit Ausnahme der Heimhelfer:innen), erhalten künftig 1.400 Euro monatlich. Kritisch sieht die Diakonie, dass Berufsumsteiger:innen arbeitslos werden müssen, um das Stipendium zu beziehen. Außerdem gilt das Stipendium nicht für tertiäre Ausbildungen wie das Bachelorstudium Gesundheits- und Krankenpflege, welches die Diplomausbildung zunehmend ersetzt.
Bis 2030 brauchen wir bis zu 100.000 zusätzliche Pflegekräfte. Um möglichst viele Menschen für die Pflege zu gewinnen, muss die Ausbildung attraktiver gestaltet werden. In Zukunft sollen deshalb Auszubildende einen Ausbildungsbeitrag in Höhe von 600€ monatlich erhalten. - Der große Kritikpunkt: wichtige Berufsgruppen wurden hier vergessen. Die Diakonie fordert dringend Nachbesserungen.
Die Bundesregierung setzt einen ersten Meilenstein in der Pflegereform. Es liegt aber noch ein weiter Weg vor uns. Die Maßnahmen bringen erste Verbesserungen und schaffen Zeit für weitere Schritte. Diese Zeit gilt es jetzt zu nutzen.
Gegenseitiges Vertrauen und Beziehungsarbeit machen meinen Beruf zu etwas Besonderem.
Der Pflegeberuf ist für mich sehr vielseitig und abwechslungsreich – ob in einem Haus für Senioren, in der Voll- oder Teilbetreuung von Menschen mit Behinderungen – er bietet soviele Facetten, gegenseitiges Vertrauen, Beziehungsarbeit und hohe Fachlichkeit, die den Beruf für mich besonders machen.
Pflege ist für mich ganzheitliche Begleitung in unterschiedlichsten Lebenssituationen.
Der Pflegeberuf ist ein so vielfältiges, schönes Berufsbild ist. Pflege ist für mich ganzheitliche Begleitung in unterschiedlichsten Lebenssituationen und ein hohes Maß an Beziehungsarbeit.
Die Diakonie fordert die Gleichstellung von Pflege- und Sozialbetreuungsberufen bei allen Maßnahmen der Pflegereform.
Ursprünglich waren Heimhelfer:innen und Behindertenbegleiter:innen bei den Gehaltserhöhungen ausgenommen. Eine Entscheidung, die von verschiedenster Seite – auch von der Diakonie - scharf kritisiert wurde. Mittlerweile hat die Regierung nachgebessert, die Gehaltserhöhungen erfassen nun alle Sozialbetreuungsberufe (Juli 2022).
Bei den Ausbildungen gibt es nach wie vor eine Schlechterstellung der Sozialbetreuungsberufe. Hier wurde die Kritik im Begutachtungsprozess nicht berücksichtigt.
Auszubildende zur Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz und zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege erhalten künftig 600€ monatlich als Ausbildungsbeitrag für die gesamte Dauer der Ausbildung. - Sozialbetreuungsberufe können hingegen höchstens für ein Jahr die Ausbildungsbeiträge erhalten. Auszubildende in den Bereichen Behindertenbegleitung und Heimhilfe sind sogar komplett ausgenommen.
Die Regierung begründet dies mit ihrem Fokus auf die Pflege. Das ist aber viel zu knapp gedacht, denn wir wissen:
Gute Pflege bedeutet immer auch gute Betreuung. Medizinische Pflege ist wichtig, es braucht aber auch soziale Aspekte wie psychosoziale Betreuung, Kommunikation und soziale Teilhabe.
Für eine gute Lebensqualität mit Pflegebedarf braucht es die Pflegeberufe und die Sozialbetreuungsberufe. In der Praxis arbeiten die Berufsgruppen häufig in Teams zusammen. Es gibt keine sachliche Erklärung, warum ein Teil des Teams von den Maßnahmen profitiert und ein anderer nicht.
Ab Herbst 2023 soll es ein Pflegestipendium in Höhe von 1.400 Euro monatlich geben. Dieses sollen Auszubildende erhalten, die auf dem zweiten Bildungsweg (zum Beispiel über AMS-Maßnahmen) in die Pflege einsteigen. Auch hier müssen in Zukunft unbedingt die Sozialbetreuungsberufe mit umfasst sein, fordert die Diakonie.
Die Diakonie fordert eine Informationsstelle für Menschen, die sich für eine Ausbildung in der Pflege und Betreuung interessieren, und zwar in jedem Bundesland.
In der Pflege und Betreuung gibt es elf verschiedene Berufe (drei Pflegeberufe und acht Sozialbetreuungsberufe). Zum einen bedeutet das vielseitige Jobmöglichkeiten, zum anderen aber auch Unübersichtlichkeit für Interessierte. Hinzu kommt, dass die Ausbildungen in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt sind. Insbesondere gilt das für die Finanzierungsmöglichkeiten.
Menschen, die sich für eine Ausbildung in der Pflege und Betreuung interessieren, wollen möglichst schnell zu den passenden Informationen kommen. Sie wollen wissen, welche Ausbildung für sie die richtige ist und welche Finanzierungsmöglichkeiten es gibt.
Pflege ist Beziehungsarbeit, und Beziehung braucht Zeit. Gute Pflege bedeutet auf die Person mit Pflegebedarf einzugehen, zuzuhören und da zu sein. Im aktuellen Pflegesystem fehlt dafür die Zeit.
Um von der Stopp-Uhr Pflege wegzukommen, braucht es Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen. Allen voran ist hier eine Überarbeitung der Personalschlüssel für den Bereich der stationären Langzeitpflege und eine Verbesserung der Normverrechnungssätze für den mobilen Bereich zu nennen.
Es braucht aber auch mehr Zeit für Praktikant:innen und Berufseinsteiger:innen. Aktuell muss die Begleitung von Auszubildenden und Einsteiger:innen in der regulären Arbeitszeit erfolgen. Zusätzliche Stunden für die Begleitung werden nicht finanziert. Da die Zeit ohnehin schon kaum reicht, erfahren Neustarter:innen nicht die Unterstützung, die sie brauchen, um in den Beruf hineinfinden zu können.
Neben zusätzlichen Stunden für die Begleitung muss auch die Ausbildung zur Praxisanleitung öffentlich finanziert werden. Um Rahmenbedingungen zu schaffen, die Zeit für gute Pflege und Betreuung ermöglichen, braucht es Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.
“Wir sind ein Team, das funktioniert”
Die Kritik in der Begutachtungsphase wurde aufgenommen. Die Gehaltsteigerungen gelten nun auch für alle Sozialbetreuungsberufe. Warum das das einzig Richtige ist, zeigt dieser Beitrag aus unseren Hausgemeinschaften in der Erdbergstraße, Wien.
Ich wachse täglich in meiner Persönlichkeit! Was ich in meiner Tätigkeit wirklich positiv sehe, ist, dass ich in meiner eigenen Persönlichkeit täglich wachse. Und allein aus diesem Grund würde ich gegen keinen anderen Job tauschen wollen.
Ich habe nun die Gelegenheit, in die Lebenswelt der Senior:innen einzutauchen und Teil davon zu werden. Nicht mehr die Gesundheitsförderung, das Genesen, allein steht nun im Vordergrund, sondern das Erreichen der höchstmöglichen Lebensqualität im Alter.
Im aktuellen Pflegesystem bestimmt das Angebot die Pflege. Weil das Angebot dem Bedarf und den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht wird, bleibt oft nur der Umzug ins Pflegeheim als Lösung. Dabei wissen wir, dass sich die meisten Menschen wünschen, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben.
Die Bedürfnisse von Menschen mit Pflegebedarf sind so verschieden wie die Menschen selbst. Um eine gute Lebensqualität im Alter sicherzustellen, braucht es deshalb einen Ausbau von Dienstleistungen in Wohnortnähe.
Beispiele sind:
- Mobile Dienste
- Mehrstündige Betreuungsangebote
- Tagesbetreuungszentren
- Pflegedienste in der Nacht und in Ruhezeiten
Pflege-Dienstleistungen liegen in der Kompetenz der Länder. In der nächsten Etappe der Pflegereform müssen Bund und Länder eng zusammenarbeiten, um eine gute Versorgung sicherzustellen. Die Dienstleistungen müssen für die Nutzer:innen leistbar sein. Dafür braucht es neben Förderungen auch eine Pflegegeld Erhöhung für alle Stufen.
80 Prozent % der Menschen mit Pflegebedarf leben zu Hause. Pflegende Angehörige und Zugehörige sind also eine tragende Säule im österreichischen Pflegesystem. In einem Drittel der Fälle wird die Pflege und Betreuung ausschließlich von Angehörigen und Zugehörigen abgedeckt.
Für pflegende Angehörige gibt es im aktuellen Paket der Pflegereform einen Angehörigenbonus, verbesserte Ansprüche auf Pflegekarenz und Ersatzpflege und eine Ausweitung von Beratungsangeboten. Das sind erste Verbesserungen.
Um eine echte Entlastung für pflegende Angehörige zu schaffen, braucht es aber dringend einen Ausbau der Dienstleistungen. Das ist auch der einzige Weg um die Vereinbarkeit von Pflege mit anderen Lebensbereichen – wie dem Beruf – zu erreichen.
Im aktuellen Reformpaket ist die Finanzierung eines Großteils der Maßnahmen auf zwei bis drei Jahre befristet. Auch für das Pilotprojekt “Community Nursing” ist noch keine Regelfinanzierung nach Ender der Projektlaufzeit gesichert.
Die Pflege wird derzeit aus einer Vielzahl von verschiedenen Töpfen finanziert. Die Regelungen unterscheiden sich außerdem in jedem Bundesland.
Ein erster wichtiger Schritt wäre es die Finanzströme zu bündeln und so Effizienzverluste und hohe Verwaltungskosten zu vermeiden. Auf die Problematik der vielen verwobenen Finanzströme haben unter anderen auch die Europäische Kommission und der Österreichische Rechnungshof hingewiesen.
Doch selbst, wenn die Finanzierung gebündelt und vereinfacht werden kann, bleibt die Prioritätenfrage. Österreich gab 2019 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Langzeitpflege aus. Dänemark und Schweden investierten über 3 Prozent; in den Niederlanden, dem europäischen Spitzenreiter, waren es sogar 3,7 Prozent.
Quelle: Europäische Kommission & Ausschuss für Sozialschutz (2021) Long-term care report. Trends, challenges and opportunities in an ageing society . Country Profiles Volume II
Community Nursing
Ein erster Schritt hin zu einer bedarfsgerechten Versorgung in Wohnortnähe sind die Community Nurses. Im Frühling 2022 sind in Österreich über 120 Pilotprojekte zu “Community Nursing “ gestartet. Diese laufen bis Ende 2024.
Community Nurses sind diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger:innen (DGKPs). Sie sollen sicherstellen, dass Menschen im Alter ihre Gesundheit möglichst lange erhalten können und ihr Pflege- und Betreuungsbedarf bestmöglich erfüllt wird – mit dem Ziel, solange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben zu können.
Zu den Aufgaben einer Community Nurse zählen:
- Information und Beratung zu Gesundheit, Betreuung und Pflege
- Gesundheitsförderung
- Vermittlung und Zusammenstellung von Angeboten für eine individuelle Betreuungslösung
- Erhebung des ungedeckten Bedarfs in der Gemeinde
- Vernetzung von Akteur:innen und Angeboten in der Region
- Organisation der Alltagsgestaltung für Betroffene
Die Diakonie ist Umsetzungspartner in Österreich und hat gemeinsam mit einer Vielzahl von Gemeinden in Oberösterreich, Salzburg, Niederösterreich und der Steiermark regional und wohnortnah Community Nurses eingerichtet.
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Das Modell SING
Mit SING liefert die Diakonie ein Reformmodell, das zeigt, wie ein Ausbau von Dienstleistungen für ein gutes Leben im Alter gelingen kann. SING stellt Menschen mit Pflegebedarf und deren Wahlfreiheit in den Mittelpunkt. Das Modell kombiniert den Ausbau bedarfsgerechten Dienstleistungen in Wohnortnähe mit einer neuen Finanzierungslogik. So wird nicht nur die Autonomie der Menschen mit Pflegebedarf erhöht, auch die zu erwartende Kostensteigerung für die Pflege kann abgeflacht werden.