Menschen mit Behinderungen haben das Recht, ihre Interessen selbst zu vertreten und eigenständig Entscheidungen zu treffen. Dies ist in Artikel 3 der UN-Behindertenrechtskonvention festgehalten. Aber was heißt das konkret im Alltag? 

Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen 

2008 hat Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) unterzeichnet. Dieser Meilenstein veränderte die Sichtweise auf Behinderungen: weg von einem mitleidigen Blick, hin zu Subjekten.  

Menschen mit Behinderungen müssen selbstbestimmt alle Menschenrechte leben können – wo notwendig mit Unterstützung. 

Selbstbestimmung heißt, so viel wie möglich selber bestimmen, selber erreichen und selber in die Hand nehmen, auch wenn es oft schwierig ist. Aber wenn man eigenständig leben will, muss man selbst was in die Hand nehmen.

Hans-Jürgen Prammer, Selbstvertreter in der Diakonie

Selbstbestimmung bedeutet, dass man schauen kann, wie viel man selber kann und wofür man Unterstützung braucht. Und dass man so viel wie möglich selber macht; und wenn es wirklich nicht geht, gibt es Assistenz-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zur Unterstützung.

Brigitte Willinger, Selbstvertreterin der Diakonie

Gleichzeitig liegt die Verantwortung, eine inklusive Gesellschaft umzusetzen, bei allen Menschen und nicht nur bei einzelnen Personen – mit oder ohne Behinderungen. Auch aufgrund der UN-Behindertenrechtskonvention ist das Verständnis gewachsen, dass es nicht so sehr um die Frage der Behinderungen geht, sondern um die Bedürfnisse und Teilhabe(möglichkeiten) von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft. 

Der Begriff der Selbstvertretung hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt und bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen  

  • sich in Gruppen zusammenschließen,  
  • sich gemeinsam für die eigenen Interessen und Gerechtigkeit einsetzen und  
  • für sich selbst, als Betroffene, Entscheidungen treffen.  

Ganz nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns“. Die Selbstvertretung ist im Rahmen der „people first“-Bewegung, die in den USA und Schweden ihren Ursprung hat, wichtig geworden. Der Begriff Selbstvertretung wird vor allem für Initiativen von Menschen mit Lernschwierigkeiten verwendet.  

Eine Interessenvertretung ist eine Gruppe oder Organisation, die die Interessen einer bestimmten Gruppe vertritt.  

Selbstvertreter:innen können ein Teil der Interessenvertretung sein. Aber Interessenvertretung bedeutet nicht, dass alle, die Teil der Interessenvertretung sind, auch selbst betroffen sind oder zu der Gruppe, deren Interessen vertreten werden, gehören. 

So ist zum Beispiel der Österreichische Behindertenrat  mit über 80 Mitgliedsorganisationen die Interessenvertretung für 1,4 Millionen Menschen mit Behinderungen in Österreich. Nicht alle Organisationen und Personen, die im Behindertenrat aktiv sind, sind jedoch Selbstvertreter:innen und selbst Menschen mit Behinderungen. 

Wie der strukturelle Rahmen von Interessenvertretung konkret aussieht, ist von Bundesland zu Bundesland verschieden und teilweise gesetzlich geregelt.  

Beispiel Oberösterreich: 

In Oberösterreich ist die Interessenvertretung mit einem Landesgesetz, nämlich im Oberösterreichischen Chancengleichheitsgesetz in den §§ 35-38, geregelt. In diesem Fall besteht die Interessenvertretung ausschließlich aus Menschen mit Behinderungen, sie ist also ein Zusammenschluss von Selbstvertreter:innen. 

Die Interessenvertretung versteht sich als Sprachrohr für die Interessen von Menschen mit Behinderungen, die  

  • in Wohneinrichtungen wohnen, 
  • in Werkstätten arbeiten, 
  • in der integrativen Beschäftigung arbeiten und/oder 
  • die mobile Hilfe nutzen. 

Gewählt wird die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen. 

Selbstvertretung und Teilhabe in der Diakonie 

Wie in der UN-Behindertenrechtskonvention festgehalten, fördern und unterstützen wir unsere Klient:innen in Bezug auf die Wahlfreiheit der Gestaltung ihres persönlichen Lebens.  

Dies tun wir auch, indem wir eine breite Palette von Begleitung, Wohnformen und Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Außerdem geschieht dies im Rahmen von Advocacy und Lobbying gegenüber Politik und Behörden, mittels Öffentlichkeitsarbeit und im alltäglichen Zusammenleben, indem wir uns um konkrete Möglichkeiten für Einzelne bemühen. 

Außerdem gibt es fest verankerte Strukturen für die aktive Selbstvertretung. Diese findet auf der Ebene der Person, der Gruppe und der Organisation statt und wir versuchen, Selbstvertretung sicherzustellen, indem wir 

  • Möglichkeiten zur Äußerung von Zielen, Wünschen und Bedürfnissen schaffen, 
  • zur Selbstvertretung ermutigen und die notwendige Begleitung sicherstellen und 
  • Interessenvertretungen strukturell verankern. 

Auch wenn bereits viel erreicht ist: Es braucht beständig das Gespräch darüber, wo Selbstbestimmung funktioniert und wo noch nicht. Und warum. Die Frage, wo Selbstbestimmung und Inklusion umgesetzt werden (können), ist letztlich auch eine Frage der Haltung. Nicht nur von Ressourcen.

Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich

Einmal pro Monat haben wir eine Besprechung mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern. Da kann jeder sagen, wie es ihm geht, was ihn stört oder welche Wünsche er oder sie hat.

Hans-Jürgen Prammer, Selbstvertreter in der Diakonie